Hartmut Krauss

Die reaktionären Implikationen der deutschen Religionsauffassung
     -   Segen und Alibi für die Etablierung der islamischen Herrschaftskultur

 

„Deutschland wird sich daher eines Morgens auf dem Niveau des europäischen Verfalls befinden, bevor es jemals auf dem Niveau der europäischen Emanzipation gestanden hat. Man wird es einem Fetischdiener vergleichen können, der sich zusätzlich die schwerwiegenden Krankheiten des Islam eingehandelt hat, während er noch an den Krankheiten des Christentums siecht.“
(Aktualisiertes Zitat von Karl Marx aus: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, MEW Band 1, S. 387.)

Vorbemerkung
Im ersten Teil des vorliegenden Textes skizziere ich kurz und unvollständig einige relevante Aspekte der sozialhistorischen Herausbildung des deutschen Religionsdiskurses, der zum einen die verfassungswidrige Privilegierung religiöser gegenüber nichtreligiösen Weltanschauungen sanktioniert und zum anderen die durchgreifende Trennung von Staat und Religion bis heute nachhaltig blockiert.
Im zweiten Teil setze ich mich mit den Grundthesen des rechtswissenschaftlich argumentierenden Buches von Karl Albrecht Schachtschneider „Grenzen der Religionsfreiheit am Beispiel des Islam“ auseinander.

Zwischen Aufklärungsfeindschaft und erzwungener Anpassung. Zur reaktionären Erblast des deutschen Religionsdiskurses
Ein zentrales Prinzip der europäischen Aufklärung im Allgemeinen sowie der Französischen Revolution im Besonderen kommt in ebenso knapper wie klarer Form in Artikel 10 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26 August 1789 zum Ausdruck:

„Niemand soll wegen seiner Anschauungen, selbst religiöser Art, belangt werden, solange deren Äußerung nicht die durch das Gesetz begründete öffentliche Ordnung stört.“

Bei näherer Betrachtung enthält die Aussage folgende normativen Implikationen:
1. Es gibt - entgegen dem nihilistischen Liberalismus - keine absolute (grenzenlose) weltanschauliche Äußerungs- und Ausübungsfreiheit. Diese steht vielmehr unter dem Vorbehalt, die neue „moderne“ (postfeudale) öffentliche Ordnung, die Freiheit, Gleichheit und zwischenmenschliche Solidarität begründen soll, nicht zu stören bzw. negativ zu beeinträchtigen oder gar revidieren zu wollen. „Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit“ bzw. Freiheitsbeschränkung für die Kräfte der Restauration vormoderner Herrschaftsverhältnisse(1).
2. Es gibt - in Anbetracht der Erfahrungen mit der Rolle der christlichen Religion als Machtinstanz feudaler Herrschaftsverhältnisse und Quelle kriegerischer Zwietracht - keine Privilegien mehr für „Anschauungen religiöser Art“. Religiöse und nichtreligiöse (säkular-humanistische, atheistische etc.)Weltanschauungsformen sind fortan gleichgestellt. Eine spezifische „Religionsfreiheit“ jenseits und zusätzlich zur ohnehin kodifizierten Weltanschauungsfreiheit im Rahmen der neuen „modernen“ öffentlichen Ordnung ist überflüssig.

Konstitutiv für die europäische Moderne war demnach die revolutionäre Brechung der absoluten Vormachtstellung der christlich-religiösen Instanzen als Träger gesellschaftlicher Deutungs- und Normierungshoheit sowie als zweite Säule der feudalen Herrschaftsordnung (Adel und Klerus als feudale Herrschaftsgewalten). Allerdings wurde diese herausragende Errungenschaft im Fortgang der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsentwicklung wieder partiell „zurück geschnitten“ und aufgeweicht bzw. der sich verändernden Interessenlage im Wandlungsprozess des antifeudalen Bürgertums zur kapitalistischen Bourgeoisie angepasst:
Aus der Perspektive des antifeudalen Bürgertums ist die mittelalterlich feudale Theologie (a) insofern hinderlich, weil sie die Entwicklung der Naturwissenschaft und damit auch die Entwicklung der Produktivkräfte als zentrale ökonomische Ressourcen blockiert. Zudem ist sie (b) ideologischer Ausdruck der politischen (absolutistischen) Herrschaft der Feudalgewalten und blockiert auch in dieser Hinsicht die freie Entfaltung der Bourgeoisie. Andererseits ist die ‚Religion’ aber auch (c) für das zur Herrschaft gelangende Bürgertum unverzichtbar als Instrument ideologischer Herrschaftssicherung bzw. als hegemoniales Mittel zur herrschaftskonformen Zurichtung der nun anwachsenden Klasse der Lohnabhängigen. Deshalb fordert das Bürgertum nicht etwa negative, sondern positive „Religionsfreiheit“, das heißt freie Interpretation der heiligen Schriften nach ihren subjektiven Klasseninteressen und -bedürfnissen. Entsprechend ging es dem postrevolutionären Bürgertum nicht um die Überwindung der Religion, sondern nur um die Brechung des prämodern-kirchlichen Deutungs- und Normierungsmonopols als Kernmerkmal der Feudalgesellschaft und damit zugleich um die Zurückdrängung der Vorherrschaft des Glaubens über die Vernunft.
In diesem Kontext ist nun die jeweils konkrete national-gesellschaftliche Gestalt der doppelten Frontstellung des Bürgertums als Grundlage seiner politisch-ideologischen Praxis zu berücksichtigen: Gegen den Feudaladel einerseits und gegen das heranwachsende Proletariat andererseits. Solange der zweite Gegensatz noch weitgehend latent blieb, kämpfte das Bürgertum (mit Hilfe der materialistischen Philosophie) für die Durchsetzung der Vernunft und betonte die Unverträglichkeit von Wissenschaft und Theologie. Der deistische (nichtatheistische) Flügel der bürgerlichen Aufklärung trennte bereits Glauben und Wissen und ordnete beiden Formen der Bewusstseinstätigkeit selbständige Bereiche zu: ‚Religion’ soll nicht abgeschafft bzw. zum Absterben gebracht, sondern nur dezentriert, d. h. zu einem Teilsystem mit limitierter Gültigkeit zurück gebildet werden, das für die geistig-moralische Kontrolle und Disziplinierung der Masse im bürgerlichen Klasseninteresse funktional ist. Es sollten folglich aus der religiösen Ideologie jene Elemente herauspräpariert werden, die mit dem bürgerlichen Klasseninteresse in Einklang zu bringen waren. Deshalb konnten deistische Vertreter des antifeudalen Bürgertums wie Voltaire und d’Alembert die Übereinstimmung von Vernunft und Glauben verkünden, ohne das bürgerliche Klasseninteresse grundsätzlich preiszugeben. Anders herum betrachtet besaß der Atheismus von Teilen des antifeudalen Bürgertums, ja sogar des Adels sowie insbesondere der plebejischen Schichten große Bedeutung als Mittel der weltanschaulich-politischen Offensive gegen den Feudalismus, aber er widersprach der entwickelten Herrschaftsausübung der postrevolutionären Bourgeoisie.

Besonders ungünstig gestalteten sich die gesellschaftlichen Umstände in Deutschland. Hier manifestierte sich im Glauben des deutschen Idealismus an die wirklichkeitsverändernde Kraft des spekulativen Denkens die Gedrücktheit und Rückständigkeit der deutschen Verhältnisse der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Diese Rückständigkeit resultierte aus der nationalen Zersplitterung und der dadurch verursachten Blockierung einer starken und geschlossenen auftretenden nationalen Bourgeoisie. Das bürgerliche Klasseninteresse kam deshalb nur in Lokalinteressen zum Ausdruck, deren Träger ein provinzielles Kleinbürgertum war. Die deutsche Philosophie war gewissermaßen Folge und Gedankenausdruck dieser Verhältnisse.
Entschiedener noch als in der Philosophie der Aufklärung ging es deshalb in der nachrevolutionären Philosophie des deutschen Idealismus um die Konstruktion einer spezifischen, den bürgerlichen Interessen angepassten Religionsauffassung, die den blockierten bzw. rückständigen Rahmenbedingungen Rechnung trug. Herausgearbeitet wurde infolgedessen die folgenreiche Konzeption eines den deutschen bürgerlichen Interessen angepassten Christentums bei gleichzeitiger Kritik und Zurückweisung des religionskritischen Aufklärungsmaterialismus. Diese Umdeutung/Erneuerung sollte insbesondere dem Ziel dienen, die Religion als Mittel der feudalaristokratischen Herrschaftslegitimation auszuschalten und zugleich als Instrument der bürgerlichen Hegemonie über die Volksmassen zu reetablieren. Enthielt diese funktionale Metamorphose der Religion bei Kante, Fichte und Hegel zunächst noch - während der ersten drei Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts - zum Teil progressive und humanistische Ideen und diente nur als äußere Hülle einer im Grunde auf den weltlich-tätigen Menschen hin orientierten Konzeption, so trat danach der reaktionäre Charakter der bürgerlichen Wiedereinsetzung des Religiösen immer stärker zu tage. Vor allem nämlich schloss der spezifisch-deutsche Klassenkompromiss des Bürgertums mit Adel und König als ideologischen Kompromiss die Verteidigung der christlichen Religion gegen Materialismus und Atheismus ein.

Kants Konzept einer „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ hält zwar zunächst fest, dass die Moral als Attribut des freien und vernünftigen Menschen zu ihrer tätigen Umsetzung keiner Religion bedarf. Andererseits aber bedarf es doch einer Instanz bzw. eines „höchsten Guts“, das verbürgt, dass sich sittliches Handeln „auszahlt“. „Gott“ wird also für Kant nicht für die Herbeiführung und Fundierung moralischen Handelns gebraucht, sondern als Garantiemacht des „höchsten Guts“ gesetzt, damit die Gewissheit entsteht, dass sich individuelles Rechthandeln letztendlich lohnt bzw. zu einem „guten Ganzen“ bzw. sittlichen Gesamtresultat oder Endzweck zusammenfügt. „Moral also führt unumgänglich zur Religion, wodurch sie sich zur Idee eines machthabenden moralischen Gesetzgebers außer dem Menschen erweitert, in dessen Willen dasjenige Endzweck (der Weltschöpfung) ist, was zugleich der Endzweck des Menschen sein kann und soll“ (Kant 2004, S. 7f.).
Dieses Konstrukt einer „Vernunftreligion“ ist zwar verknüpft mit dem Postulat eines Dominanzanspruchs („Oberzensur“) der Wissenschaften (Philosophie) gegenüber der Theologie (Religion), „denn eine Religion, die der Vernunft unbedenklich den Krieg ankündigt, wird es auf Dauer gegen sie nicht aushalten“ (ebenda, S. 12). Aber dennoch ist diese abstrakte bzw. „auseinanderreißende“ Setzung einer rein „moralischen Religion des guten Lebenswandels“ gegenüber einer „Religion der Gunstbewerbung (des bloßen Kultus)“ ein Kunstgebilde, das weder einer historisch-empirischen noch einer aktualempirischen Realität entspricht, sondern im Endeffekt nur einer inadäquaten Verkennung des Religiösen als Instanz des Moralischen Vorschub leistet.(2) Tatsächlich lässt sich nämlich im Hinblick auf monotheistische Bedeutungssysteme/Weltanschauungen keine mechanistische Trennung von rein transzendenten/spirituellen/glaubensbezogenen Behauptungen (Welt 1) und „diesseitsbezogenen“ Aussagen, Wertungen, Vorschriften, Normen etc. (Welt 2) vornehmen. Vielmehr wird aus der unbewiesenen Behauptung der Existenz Gottes ein absolut gültiger Vorschriftenkatalog sowie eine sich darauf gründende Ordnungslehre und Ethik abgeleitet und mit einer postmortalen Jenseitslehre kombiniert. Damit ist der religiöse Glaube an ein übergeordnetes Sein stets zugleich untrennbar mit dem Anspruch auf irdisch-gesellschaftliche bzw. zwischenmenschliche „Richtlinienkompetenz“ behaftet. Ob sich dieser Anspruch durchsetzt oder zurückgedrängt werden kann, hängt schließlich ab von konkreten politisch-weltanschaulichen Kräfte- und Machtverhältnissen.
Hervorzuheben ist darüber hinaus auch der widersprüchliche und ambivalente Aussagecharakter der monotheistischen ‚Buchreligionen‘. Daraus folgt, dass sich unterschiedliche bis gegensätzliche Auslegungen gleichermaßen legitimieren lassen, ohne dass sich letztendlich eine bestimmte theologische Interpretation als „allein gültig“ nachweisen ließe. Ein ebenso prominentes wie erhellendes Beispiel hierfür ist das kontroverse Bibelverständnis von Luther und Müntzer. So findet Luther im Römerbrief 13 des Paulus, Vers 1 und 2 die Legitimationsquelle für seine Gehorsamslehre: „1. Jedermann sei unthertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit, ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet. 2. Wer sich nun wider die Obrigkeit setzet, der widerstrebet Gottes Ordnung; die aber widerstreben, werden über sich ein Urtheil empfangen.“ Gegen diese herrschaftsapologetisch akzentuierte Schriftauslegung, die den theologischen Nährboden für Luthers geistiges Wüten im deutschen Bauernkrieg abgab, wendet sich Müntzer in umfassender und radikaler Form: Zum einen lehnt er die Reduzierung der geltenden Normen auf das Neue Testament ab und versteht demgegenüber die ganze Bibel als Gesetz Gottes. D. h. er filtert aus dem Alten Testament Stellen heraus, die sich für seine antithetische Widerstandslehre eignen. Zum anderen hebt er gegenüber Luthers Obrigkeits- und Gehorsamslehre Vers 3 und 4 des zitierten Römerbriefs hervor, um darauf aufmerksam zu machen, dass die Obrigkeit (die damaligen Feudalgewalten) ihren Auftrag als Dienerin Gottes zur Bestrafung der Bösen längst verraten und damit ihren Gehorsamsanspruch eingebüßt habe.

Die herrschaftsideologische Substanz und Funktionalität der christlichen Dogmatik zeigte sich in besonders klarer Form darin, in welch scharfer und verdammender Weise die Kirchenvertreter auf die Prinzipien der kulturellen Moderne infolge der Aufklärung und der Französischen Revolution reagierten und sich gerade auch in Deutschland in die aufklärungsfeindliche Restauration bzw. Verteidigung vormodern-aristokratischer Herrschaftskultur einbanden. So geißelte die katholische Kirche in einer ganzen Reihe von Enzykliken des 19. Jahrhunderts die modernen Errungenschaften wie Weltanschauungsfreiheit, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit sowie das Prinzip der Volkssouveränität und der Gewaltenteilung etc. Von einem aus endogenen Antrieben entsprungenen frisch-fromm-fröhlichen Hinübergleiten des Christentums in die menschenrechtliche Moderne kann keine Rede sein. Noch 1907 brandmarkte Papst Pius X. den ‚Modernismus’ als „Synthese aller Häresien“(3). Im Zentrum dieser christlich-religiösen Reaktion stand der vehemente Abwehrkampf gegen den säkularen Humanismus. Das 1864 unter Papst Pius IX. veröffentlichte „Verzeichnis der Irrtümer“ („Syllabus Errorum“) liest sich wie das aufgeschlagene Buch des innerzivilisatorischen Zusammenpralls zwischen der traditionalistisch-christlichen (vormodernen) Herrschaftskultur und der säkular-demokratischen Moderne(4). Um diese christlich-reaktionäre Gedankenwelt hier nur in knapper Form exemplarisch anzudeuten, sei folgende Passage aus der Enzyklika „Libertas praestanissimum“ vom 20. Juni 1888 zitiert: „Aus dem Gesagten ergibt sich, dass es niemals erlaubt ist, die Gedankenfreiheit, Pressefreiheit, Lehrfreiheit sowie unterschiedslose Religionsfreiheit zu fordern, zu verteidigen oder zu gewähren, als seien dies ebenso viele Rechte, welche die Natur dem Menschen verliehen habe. Hätte die Natur diese Rechte verliehen, so wäre es erlaubt, Gottes Oberherrlichkeit zu bestreiten, und der menschlichen Freiheit könnten durch kein Gesetz Schranken gezogen werden“ (zit. n. Topitsch 1966, S. 79).
1910 wurde von Papst Pius X. der Antimodernismus-Eid eingeführt, den alle katholischen Amtsträger bis 1967 ablegen mussten. Darin wird nicht zuletzt auch allen Versuchen eine Absage erteilt, das Christlich-Religiöse durch moraltheoretische Metaphysik (Kant), Spiritualisierung und Psychisierung (Schleiermacher) zu retten bzw. mit der Moderne zu versöhnen(5).
Generell galt für die deutsche Entwicklung im 19. Jahrhundert (bis zur Novemberrevolution 1918), dass die Herausbildung und Entfaltung des Industriekapitalismus politisch-kulturell durch das überkommene und fixierte Herrschaftsbündnis von Thron und Altar überformt blieb. Für den Freiherrn vom Stein war „die enge Verwandtschaft des Vaterländischen, Sittlichen und Religiösen …der Grundgedanke aller Reformen“. „Alles, was keine sittlich-religiöse Unterlage hat, ist von Übel und führt zum Abgrund.“(6) Insbesondere angesichts der erstarkenden Arbeiterbewegung geriet die Pflege der religiösen Weltanschauung zur Staatsaufgabe. In aller Klarheit kommt diese ideologische Instrumentalisierung (die ja immer eine Instrumentalisierbarkeit voraussetzt) in der folgenden Aussage des preußischen Thronfolgers Wilhelm II. zum Ausdruck: „Gegenüber den grundstürzenden Tendenzen einer anarchistischen und glaubenslosen Partei ist der wirksamste Schutz von Thron und Altar in der Zurückführung der glaubenslosen Menschen zum Christentum und zur Kirche und damit zur Anerkennung der gesetzlichen Autorität und zur Liebe zur Monarchie zu suchen. Der christlich-soziale Gedanke ist mit mehr Nachdruck zur Geltung zu bringen.“(7)
Worauf die christliche Moral - jenseits idealistischer Illusionen - unter diesen Bedingungen gesellschaftsfunktional betrachtet im Wesentlichen abzielte, erhellt auch der Auszug aus einer Predigt des zeitgenössisch bekannten und einflussreichen Geistlichen F. Ahlfeld (1867):
„Vergiß nie, daß das königliche Amt immer Mittelpunkt und Säule der heiligen göttlichen Ordnung bleibt. Wo es seine Festigkeit, Stärke, Höhe und Würde verliert, da ist das ganze Leben des Volkes für die Zukunft in’s Ungewisse gestellt. Halte daher deinen König hoch und laß dir diesen ersten Amtmann Gottes nie durch unklare und selbstsüchtige Schwätzer in den Staub des gewöhnlichen herunterziehen“ (zit. n. Beichler 1980, S. 70).
Unabhängig vom Kulturkampf zwischen der evangelisch-preußischen Monarchie und dem an der Unfehlbarkeit des Papstes festhaltenden Katholizismus nahmen beide christlichen Kirchen eine stark ausgeprägte Verweigerungshaltung gegenüber dem neuen republikanisch-demokratischen Staat der Weimarer Reichsverfassung ein. Auf die nunmehr gegebene Möglichkeit der Abmeldung vom Religionsunterricht reagierte insbesondere die katholische Kirche mit einer hysterischen Kampagne, indem sie eine zunehmende sittliche Verwilderung der Jugend heraufziehen sah. In einem Hirtenbrief vom 29.1.1919 sah sich der Kardinal Faulhaber zu der Aussage veranlasst, die Möglichkeit der Abmeldung „wiege schlimmer als der Blutbefehl des Herodes zum Kindermord und der Religionsunterricht sei jetzt ‚der Willkür der Eltern und Vormünder ausgeliefert’“ (Czermak 2008, S. 10). Demgegenüber war für Wilhelm Reich (1933, S. 170) „die religiöse Verseuchung die wichtigste massenpsychologische Massnahme (…), die den Grund für die Aufnahme faschistischer Ideologie in der Krise legt“. Schon die Papenregierung hatte in einem Erlass zur Erziehung der Jugend vom Frühjahr 1932 den unverzichtbaren Stellenwert der religiösen Unterweisung für das deutsche Volk hervorgehoben:
„Weichlichkeit und zu weit getriebene Rücksicht auf jede individuelle Neigung sind unangebracht gegenüber einer Jugend, die vom Leben einmal hart angepackt wird. … Die Erziehung zur Staatsgesinnung und zum Volksbürgertum empfängt ihre stärkste innerliche Kraft aus den Wahrheiten des Christentums … Treue und Verantwortung gegenüber Volk und Vaterland haben ihre tiefste Verankerung im christlichen Glauben. Deshalb wird es stets meine besondere Pflicht sein, das Recht und die freie Entfaltung der christlichen Schule und die christliche Grundlage aller Erziehung zu sichern“ (ebenda, S. 171).
Vor diesem Hintergrund ist es auch leicht nachvollziehbar, dass die Säkularisierung in Deutschland unvollendet blieb und die Trennung von Religion und Staat auf vielen Gebieten (Schul- und Hochschulpolitik; Steuergesetz; Medienpolitik; Sozialwesen etc.) auch heute noch nicht vollzogen worden ist.

Antimodernistisch-traditionalistische Weltanschauung, ideologische Kompetenz und totalitäre Binnenstruktur gewährleisteten dann auch die relativ reibungs- und nahtlose Integration insbesondere der katholischen Kirche in das faschistische System(8). Hinzu kam die Konvergenz von „Anti-Bolschewismus“ und militantem Konservatismus als geistige Bindemittel der „klerofaschistischen Kollaboration“, die sich auf markante Weise in den Lateranverträgen (zwischen Vatikan und italienischem Faschismus) sowie im Reichskonkordat (zwischen Vatikan und deutschem Faschismus) manifestiert hat.
Worauf basierte nun die wechselseitige Wertschätzung/Instrumentalisierung von katholischer Kirche und Faschismus?
Hitler anerkennt sehr wohl die hegemoniale Kompetenz der katholischen Kirche als Instanz der massenhaften Erzeugung von Herrschaftsakzeptanz und untertäniger Subjektivität vermittels Desartikulation von Klassenwidersprüchen und moralistisch-asketischer Indoktrination. Ihm geht es um das legitimatorische Arrangement mit den Kirchen bei gleichzeitiger Ausschaltung des politischen Klerikalismus, sprich: der Zentrumspartei. Entsprechend schließt er die antikirchlichen Kräfte aus der Nazibewegung aus und erklärt in einer Rede vom 27.10.1928 in Passau: „In unseren Reihen dulden wir keinen, der die Gedanken des Christentums verletzt, der einem anders gesinnten Widerstand entgegenträgt, ihn bekämpft oder sich als Erbfeind des Christentums provoziert. Diese unsere Bewegung ist tatsächlich christlich. Wir sind erfüllt von dem Wunsch, daß Katholiken und Protestanten sich einander finden mögen in der tiefsten Not unseres Volkes. Wir werden jeden Versuch unterbinden, den religiösen Gedanken in unserer Bewegung zur Diskussion zu setzen“ (zit. n. Deschner 1982, S. 361f.). Im „Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich“ (Reichskonkordat) vom 20. Juli 1933 bekunden der Vatikan und die Nazis ihre Absicht, die „bestehenden freundschaftlichen Beziehungen zu festigen und zu fördern“ (zit. n. Kühnl 1975, S. 220). Das Nazi-Regime „gewährleistet die Freiheit des Bekenntnisses und der öffentlichen Ausübung der katholischen Religion“ (ebenda) sowie die ungehinderte Veröffentlichung kirchlicher Anweisungen, Verordnungen, Hirtenbriefe etc. Des Weiteren wird der katholische Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an allen Schulen bestätigt. Im Gegenzug verpflichtet sich die Kirche darauf, an allen Sonn- und Feiertagen im Anschluss an den Hauptgottesdienst für das Wohlergehen Nazi-Deutschlands zu beten und die Bischöfe einen Treueid auf das Dritte Reich schwören zu lassen. Strategisch bedeutsam für die Nazis war der „Entpolitisierungsartikel“, d. h. das parteipolitische Betätigungsverbot für Geistliche und Ordensleute und damit die faktische Suspendierung des politischen Katholizismus.
Gerade auch der italienische Faschismus ist durch den Katholizismus geprägt: „Der Große Rat des Faschismus (Gran Consiglio) war ... eine offensichtliche Nachahmung des sogenannten Heiligen Kollegiums, der italienische Faschismus überhaupt ... nach dem Muster der Katholischen Aktion aufgebaut, von Pius XI. 1922 gegründet, auch die Nachfolge des Duce ähnlich geregelt wie die des Papstes“ (Deschner 1982, S. 327). In Rumänien bildete sich in Gestalt der „Legion Erzengel Gabriel“ („Eiserne Garde“) in der Zwischenkriegszeit 1918 bis 1938 eine christlich-faschistische Massenbewegung heraus, während in den Reihen der ungarischen Faschisten („Pfeilkreuzler“) katholische Geistliche wie der Minoritenbruder Pater Andras Kun an vorderster Stelle als antisemitische Terroristen ihr Unwesen trieben. Generell ist es aus der Perspektive einer vergleichenden Totalitarismusforschung interessant, schon zur Zeit der Naziherrschaft das parallele Wirken von Muslimen (der Mufti von Jerusalem und die muslimischen SS-Divisionen) und Christen an der Seite der Faschisten zu begutachten.

Nach 1945wurden die wesentlichen Bestimmungsmerkmale der restaurativen bzw. antiaufklärerisch-revisionistischen deutschen Religionsauffassung in das vorherrschende westdeutsche „Verfassungsdenken“ eingeschleppt und dieser christentumszentrierte (staatskirchenrechtliche) Diskurs in neuerer Zeit obendrein auf den Islam übertragen.
Im Einzelnen sind hier zusammenfassend folgende belastenden Diskursaspekte anzuführen:
1) Die (Re-)Privilegierung religiöser gegenüber nichtreligiösen Weltanschauungen und Weltanschauungsgemeinschaften (Verletzung des Gleichberechtigungsprinzips).
2) Die Fixierung des Vorurteils, demzufolge die Obhut und Pflege der Moral das Stammgebiet der religiösen Akteure und Institutionen sei(9).
3) Die mechanistische (zusammenhangsblinde) Illusion, die von einer klaren Trennbarkeit der rituellen/kultischen/spirituellen (jenseitsorientierten) und weltlich-normativen (diesseitsorientierten) Dimension des Religiösen ausgeht.

Vor diesem Hintergrund sind die - gerade auch im Kontext der Islamdebatte - immer lauter werdenden Rufe nach voraussetzungsloser/ungeprüfter „Religionsfreiheit“ als ernstzunehmende Drohungen bzw. Kampfansagen gegen Grundprinzipien der kulturellen Moderne aufzufassen, wohingegen allein schon die Kritik am Missbrauch der „Religionsfreiheit“ (als Vehikel für die Implementierung islamischer Herrschaftskultur) neuerdings als „Aufklärungsfundamentalismus“ denunziert wird.
Dabei ist festzustellen, dass „Religionsfreiheit“ oftmals im Sinne des nihilistischen Liberalismus(10) als grundsätzlich nicht hinterfragbares Dogma gesetzt und ohne Kriterien gewährt wird. Auf dieses Weise soll von vornherein eine kritische Analyse und Bewertung religiöser Weltanschauungen im Hinblick auf ihre Grund- und Menschenrechtsvereinbarkeit ausgeschlossen werden, wobei sich die „Staatsvertreter“ gern das Mäntelchen der „weltanschaulichen Neutralität“ überstülpen, ohne aber ihr verborgenes Interesse an der faktischen Privilegierung religiöser Weltanschauung preiszugeben. Damit vollzieht der spätmoderne Verfassungsstaat tendenziell seine Selbstentmachtung als aktiver Garant und Beschützer der Grund- und Menschenrechte. Denn für den säkular-demokratischen Rechtsstaat müsste die Prämisse gelten, dass die religiösen Glaubenssysteme innerhalb der säkular-demokratischen ‚Moderne’ nur in einer Form akzeptiert werden können, in der die Grund- und Menschenrechte nicht verletzt werden. Aus diesem Grunde ist eine kritische Bewertung der rituellen und normativen Grundgehalte der jeweiligen Religion unverzichtbar. Insofern rituelle und normative Religionsaspekte mit Grund- und Menschenrechten kollidieren bzw. diese verletzten, muss das Recht auf positive Religionsfreiheit im Sinne einer konsequenten Prioritätssetzung eingeschränkt werden, d. h. der Grundsatz gelten: „Grund- und Menschenrechte vor positiver Religionsfreiheit“. Deshalb kann es auch keine absolute bzw. unbeschränkte ‚Religionsfreiheit’ geben und etwa zugelassen werden, dass bestimmte Gruppen ihr gesamtes Verhalten an den Lehren eines Glaubens ausrichten, der in wesentlichen Aussagen und Vorschriften elementaren Grund- und Menschenrechten widerstrebt.

Hervorzuheben ist aber auch, dass ‚Religionsfreiheit’ historisch-genetisch zunächst einmal insbesondere auch ‚negative Religionsfreiheit’, d. h. Freiheit von herrschaftlich verordnetem und lebensweltlich vermitteltem und überwachtem Glaubenzwang sowie Freiheit von religiös-weltanschaulicher Bevormundung bedeutet. Die revolutionäre Errungenschaft besteht hier darin, die Möglichkeit als Freigeist, Atheist, Religionsloser etc. unangefochten, repressionsfrei und gleichberechtigt leben zu können, als „Normalität“ erst einmal erobert, durchgesetzt und abgesichert zu haben(11). So „leitet die revolutionäre Entchristianisierung ein neues Verhältnis zwischen Glauben und Unglauben ein. Seit der (Französischen, H. K.) Revolution konnte jedermann feststellen, dass der Unglaube nicht mehr wie eine schändliche Krankheit verborgen zu werden braucht, dass man sich sogar zu ihm bekennen, in aller Öffentlichkeit als Atheist leben und dennoch ein gewöhnlicher Mensch sein kann. Jeder kann sich also seinem Unglauben gemäß verhalten, ohne sich schuldig zu fühlen. Außerdem können die Ungläubigen einander zählen, unterstützen und beistehen. Man zögert weniger, sich als Atheist zu bezeichnen“ (Minois 2000, S. 476f.) Die gesellschaftlich-rechtliche Gleichberechtigung von Atheisten und Religionsfreien ist folglich nicht etwa das evolutionär-sanftmütige Resultat eines allmählichen christlichen Umdenkungsprozesses, sondern das Resultat harter revolutionärer Kämpfe gegen die absolute Herrschaft von Feudaladel und christlichen Machtinstanzen.

Die ideologische Überstrapazierung der Religionsfreiheit und die Grundgesetzwidrigkeit des Islam

Karl Albrecht Schachtschneider vermittelt in seiner rechtswissenschaftlichen Abhandlung „Grenzen der Religionsfreiheit am Beispiel des Islam“ drei konstitutive Einsichten, die generell einer wissenschaftlich ernst zu nehmenden Behandlung des Islamthemas zugrunde liegen:
1) Im Zuge der Aufklärung, der Französischen Revolution und der sich daran anschließenden Modernisierungsprozesse wurde dem christlich-religiösen Staat in Europa das Ende bereitet. Damit verlangt jetzt das staatlich gesetzte Recht (und nicht ein wie auch immer beschaffenes „göttliches Recht“) allgemeine und vorrangige Verbindlichkeit und duldet keine gegenläufigen höchsten Verbindlichkeiten. D. h.: Unter den Bedingungen der europäischen Moderne muss religiöses Handeln diesen gesetzlichen Rahmen und die darin enthaltene Priorität akzeptieren.
2) Da der Islam in seinem Herrschaftsraum keine vergleichbare Gültigkeitseinschränkung hat hinnehmen müssen, kollidiert das ihm untrennbar eingeschriebene vormoderne Normenkonzept zwangsläufig mit der europäischen Verfassungs-, Rechts- und Lebensordnung. („Der Islam anerkennt die Säkularität von Religion und Politik/Staat nicht“.). Das bedeutet konkret: Der Islam kann in Europa nicht wie in einem islamischen Land gelebt werden. „Die Gesetze lassen das nicht zu.“ (S. 5).
3) Die deutsche Dogmatik der Religionsfreiheit krankt an ihrer einseitigen Fixierung auf das Christentum sowie an der Verkennung der islamischen Wesensspezifik(12). Ihr Grundfehler ist die unbedachte Übertragung der dem postaufklärerischen Christentum aufgenötigten Eigenschaftsform auf den Islam. Hinzu kommt eine willkürliche Überstrapazierung der (positiven) Religionsfreiheit gegenüber anderen Grundrechten und damit tendenziell eine revisionistische Umkehrung der säkular-demokratischen Verbindlichkeiten (siehe 1).

Schachtschneider weist auf die sehr wesentliche Einschränkung hin, dass die Menschenrechtstexte eine allgemeine Religionsausübungsfreiheit nicht kennen. Vielmehr sei das Menschenrecht der Religionsfreiheit auf das religiöse Bekunden oder Bekennen und das Unterrichten der Religion begrenzt und umfasse nicht das Leben und Handeln nach der Religion. Markiert wird damit eine Unterscheidung zwischen Bekenntnis- und Ausübungsfreiheit. Demgegenüber enthalten die Formulierungen von Artikel 4 Absatz 1 und 2 GG unklare und fragwürdige Bestimmungen, indem sie irreführender Weise zwischen religiösem und weltanschaulichem Bekenntnis (statt zwischen religiösem und nichtreligiösem weltanschaulichen Bekenntnis) unterscheiden sowie eine ungestörte Religionsausübung gewährleistet sehen wollen, ohne damit das Leben und Handeln nach einer möglicherweise grund- und menschenrechtswidrigen Religion explizit auszuschließen. Schachtschneider sieht diese leicht als Persilschein für alle möglichen religiösen Handlungsgründe missbrauchbaren Unklarheiten geheilt durch die Übernahme von Art. 136 Abs. 1 Weimarer Reichsverfassung (WRV) in das Grundgesetz: „Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.“ Dieser Auffassung vermag ich mich nicht anzuschließen und plädiere vielmehr für eine Änderung von Art 4 Abs. 1 und 2 GG im Sinne von Artikel 10 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26 August 1789:
(1) Die Freiheit des Gewissens, der Überzeugung und die Freiheit des weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Ausübung der Weltanschauung wird gewährleistet, insofern damit nicht gegen elementare Grundrechte und die bestehende Rechtsordnung verstoßen wird.

Wie notwendig eine solche Änderung ist, verdeutlicht der Autor selbst, indem er die übergebührliche Rangstellung der religionsfreiheitlichen Rechte durch das Bundesverfassungsgericht rügt. Grundsätzlich gilt für die deutsche Rechtsdogmatik, dass sie die beiden Absätze des Artikels 4 des GG zu einem einheitlichen Grundrecht der Glaubens- und Religionsfreiheit verknüpft und dieses extensiv entfaltet, ohne die Religionsfreiheit durch einen ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt einzuschränken(14). „Dem (zu) weiten Schutzbereich setzt die Praxis gezwungenermaßen wenig bestimmte und damit beliebig einschränkbare oder erweiterbare Schranken entgegen.“ (S. 16). So hat das Bundesverfassungsgericht in der Kopftuchentscheidung das Religionsgrundrecht als das schützenswerte Recht ausgelegt, so zu leben und zu handeln, wie es die Religion gebietet(15).
Darüber hinaus wird religiös bestimmtem Verhalten in Urteilstexten des Bundesverfassungsgerichts und anderen Gerichten (Krauss 2007) immer wieder ein skandalöses Sonderrecht eingeräumt. Dem widerspricht aber das Prinzip der rechtlichen Gleichstellung aller Bürger, das keine Privilegien aus religiösen Gründen zulässt. Im Grunde konstatiert Schachtschneider damit einen grundrechtswidrigen Revisionismus des höchsten deutschen Gerichts. Das Bundesverfassungsgericht „verkennt nicht nur das Verhältnis von Staat und Kirche (Religionsgesellschaften), Politik und Religion nach dem Grundgesetz, sondern auch den Regelungsgehalt der aus der Weimarer Reichsverfassung übernommenen Vorschrift“ (S. 34). Revidiert wird damit ein Fundamentalprinzip der säkular-demokratischen Republik, wie es der leitende Kommentator der Weimarer Reichsverfassung, Gerhard Anschütz, noch klar festgehalten hatte: „Staatsgesetz geht vor Religionsgebot. Was die Staatsgesetze als staatsgefährlich, sicherheits- oder sittenwidrig, ordnungswidrig oder aus sonst einem Grund verbieten, wird nicht dadurch erlaubt, dass es in Ausübung einer religiösen Überzeugung geschieht“ (ebenda).
Demgegenüber ist das religiöse Handlungsfreiheitsdogma, wie es das Bundesverfassungsgericht vertritt, untragbar, da es - ernst genommen - das Gemeinwesen als säkular-demokratische (moderne) Grundordnung zerstören und einer Regression zu einer religiös bestimmten Herrschaftsordnung Tür und Tor öffnen würde. „Als religiöse allgemeine Handlungsfreiheit steht die (sog.) Religionsfreiheit im Widerspruch zur politischen Freiheit und kann Art. 4 GG zur Grundlage einer religiösen Spaltung der Bürgerschaft werden“ (S. 20). De facto operiert das Bundesverfassungsgericht mit einem unzulässigen Freiheitsbegriff. Denn es gibt im Rahmen der säkular-demokratischen Grundordnung keine (religiöse) Freiheit zu Lasten der Rechte anderer und entgegen der verfassungsmäßigen Ordnung.

Die zentrale Basis für Schachtschneiders Grundargumentation ist die „Zwei-Welten-Theorie“ in Anlehnung an Kant. Ausgangspunkt ist hier die Unterscheidung von Meinen, Wissen und Glauben. Dabei beziehen sich Meinen und Wissen als elementare kognitive Modi des (Erkenntnis-)Subjekts auf die Gegenstände und Zusammenhänge der objektiven (äußeren) Realität bzw. der „Ersten Welt“, während sich Glauben auf das Für-wahr-Halten einer transempirischen göttlichen Offenbarung richtet („Zweite Welt“). D. h.: ‚Glauben’ bezieht sich weder auf Gegenstände der empirischen oder theoretischen Erkenntnis noch der praktischen Erkenntnis der Moral, sondern auf Gegenstände, so Kant, „in Ansehung derer man nicht allein nichts wissen, sondern auch nichts meinen, ja nicht einmal Wahrscheinlichkeit vorwenden, sondern bloß gewiß sein kann, dass es nicht widersprechend ist, sich dergleichen Gegenstände zu denken, wie man sie sich denkt“ (S. 25). Glaubensbekenntnisse sind demnach als subjektive Gewissheiten der Wissenschaftlichkeit nicht fähig und dürfen deshalb nach modern-rationalen Kriterien auch nicht als allgemeinverbindliche Bedeutungen bzw. als „Handlungslehren vom Sollen“ auftreten.
Anhand dieser begrifflichen Unterscheidung lässt sich „Religionsfreiheit“ präziser als „Glaubensfreiheit“ bestimmen. Diese ist dann aber begrenzt auf die „Zweite Welt“, d. h. den Glauben an Gott/Götter, das ewige Leben, die Unsterblichkeit der Seele sowie ähnliche Mysterien und darauf gerichtete Kulthandlungen und Riten. Nur auf diese rational nicht fassbaren „Gegenstände“ bezieht sich der Begriff der grundrechtlich geschützten Religionsausübung. Ansonsten, so Schachtscheider, folgt das Grundgesetz „der kantianischen Rechtslehre nicht nur in seiner Definition der Freiheit in Art. 2 Abs. 1 GG, sondern auch in seinen Strukturprinzipien des Art. 20 GG. Art 2. Abs. 1 GG lautet: „Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt“ (S. 29f.). Auszuschließen ist damit eine Auslegung von Religionsfreiheit dahingehend, dass Handlungen innerhalb der „Ersten Welt“ bereits schon deshalb als legitim gelten können, weil sie religiös begründet sind bzw. als religiös begründet ausgegeben werden können. Sowohl für die Öffentlichkeit als auch für die Sphäre des „Privatraums“ gilt vielmehr, dass es keinen Anspruch auf (religiöse) Freiheit entgegen der geltenden Rechtsordnung gibt(16). Tatsächlich, so der Autor, „darf sich aber die Religionsausübung nur in den engen Grenzen des (im weiteren Sinne) Kultischen bewegen, weil der Grundrechts- und auch der Menschenrechtsschutz der Religionsfreiheiten nicht weiter reichen“ (S. 32)(17). Das bedeutet konkret: Der religiös gebundene Mensch darf in einer säkular-demokratischen Lebensordnung die Maximen und Vorschriften seiner Religion anderen Menschen nicht aufzwingen, d. h. er muss den Anspruch der absoluten Gültigkeit seiner Glaubensüberzeugungen fallen lassen, um nicht den Grenzsetzungsapparat der säkularen Gesellschaft auf sich zu ziehen. Es kann somit - entgegen der in Deutschland vorherrschenden Ideologie - keinen Grundrechtsschutz für grundrechtswidrige Handlungen geben, die aus religiösen Glaubensgründen resultieren.
Konnte das Christentum durch eine durchsetzungsstarke säkular-demokratische Bewegung erst nach langen Kämpfen, teilweise und in vielen Fällen nur vordergründig zur tendenziellen Hinnahme der Beschränkung auf die „Zweite Welt“ bewegt werden(18), so gilt das in keiner Weise für den Islam. Schachtschneider(19) hat völlig Recht, wenn er mit Bezug auf die ausschlaggebende Hauptströmung des orthodoxen Islam feststellt: „Eine rechtsetzende Gesetzgebung der Bürger als der Bürgerschaft und damit eine Republik im substantiellen Sinne des freiheitlichen demokratischen Prinzips sind dem Islam fremd.“ (S. 36). Mehr noch: Der orthodoxe Islam(20) kennt weder eine Trennung von Religion, Staat, Recht und Privatsphäre. Darüber hinaus sieht sich der Islam durch den göttlich inspirierten Mund des Propheten Mohammed selbst als einzig wahre und überlegene Religion. So heißt es in Sure 3, Vers 110 des Koran: „Ihr seid die beste Gemeinde, die für die Menschen erstand. Ihr heißet, was Rechtens ist, und ihr verbietet das Unrechte und glaubet an Allah“. Damit erweist sich der Islam bereits im dogmatischen Grundansatz als strikt antipluralistisch und universell herrschaftsbefugt, indem er eine gleichberechtigte Koexistenz und Kommunikation mit Anders- und Nichtgläubigen prinzipiell ausschließt. Abgesichert wird dieser universelle Herrschaftsanspruch durch das prätentiöse Konzept der angeblich angeborenen muslimischen Urnatur des Menschen (fitra), das in radikal-dogmatischer Form die Anerkennung gleicher Rechte für alle Menschen von vornherein ausschließt(21). Auf dieser Grundlage fungiert der Islam als eine kriegerische „Herrenreligion“ (Max Weber), die ihren universellen Geltungsanspruch in Form der Djihadlehre auch mit religiös legitimierter Gewalt gegen Andersgläubige, Ungläubige und Apostaten anstrebt.
Generell gilt nicht nur für Muslime, sondern auch für die jüdischen und christlichen Monotheisten, dass das religiöse zugleich immer ein weltanschauliches Bekenntnis ist. Das „rein Religiöse“ lässt sich realiter niemals vom „rein Weltlichen“ abtrennen. Das geht nur im Sinne einer „unverständigen“ Abstraktion, die das Religiöse und das Weltliche vom konkreten Menschen als dem ganzheitlichen Subjekt seiner individuellen und gesellschaftlich vermittelten Lebenstätigkeit irreal abtrennt.
Insbesondere aber für den Islam, der bislang durch keine kulturinterne Aufklärungs- und Säkularisierungsbewegung in seinem absoluten Geltungsanspruch nachhaltig eingeschränkt wurde, gilt, dass die religiösen Normen das gesamte gesellschaftlich-öffentliche und individuell-private Leben durchdringen. Gerade durch die Einhaltung der islamischen Regeln innerhalb der Ersten Welt muss der gläubige Muslim seine Gottesdienerschaft beweisen, um vor Allah bestehen zu können. D. h. Der Islam ist die untrennbare Einheit von Glaube und Gesetz. Daraus folgt: Es gab und gibt keinen unpolitischen Islam. Vielmehr verkörpert der Islam eine ganzheitliche, d. h. sämtliche Lebensbereiche umfassende „Vorschriftenreligion“, die in ihrem normativen Gesamtgerüst eine vormodern-autoritäre Herrschaftsordnung festlegt und ideologisch legitimiert(22). Unterzieht man nun die normativen Grundinhalte des orthodoxen Islam einer nähren Betrachtung, dann zeigt sich sehr klar die absolute Gegensätzlichkeit zu menschenrechtlichen und säkular-demokratischen Grundprinzipien(23). Dogmatisch festgelegt ist sowohl die Nichtgleichberechtigung von Muslimen und Nichtmuslimen als auch die Nichtgleichberechtigung von Männern und Frauen (Islamischer Patriarchalismus). So dürfen, worauf auch Schachtschneider hinweist, Nichtmuslime keine staatlichen Ämter bekleiden, sind den Muslimen strikt untergeordnet und besitzen nicht die gleichen Rechte wie diese. Es gibt weder das Prinzip der Gewaltenteilung noch das Recht auf freie Meinungsäußerung. Zu beachten ist des Weiteren der zentrale Tatbestand, dass es im Islam keine Glaubensfreiheit gibt und somit entgegen wohlfeiler Ausreden sehr wohl „Zwang in der Religion“ vorherrscht bzw. ein ausgeprägtes Repressionsverhältnis innerhalb der islamischen Gemeinschaft vorliegt. So darf das Individuum, das in eine islamisch bestimmte Sozialordnung hineingeboren wird, seine Religion nicht etwa autonom auswählen. Nichtanerkennung bzw. Distanzierung vom Islam wird als Abfall vom ‚rechten Glauben‘ gewertet und massiv bestraft. So ist ein männlicher Apostat zum Tode zu verurteilen, wenn er nicht widerruft, eine weibliche Abtrünnige hingegen soll so lange gefangen gehalten werden, bis sie widerruft. Wenn auch die Todesstrafe für Glaubensabfall seit dem 19. Jahrhundert mancherorts durch Gefängnisstrafe, Verbannung, Einziehung des Vermögens und Annullierung der Ehe ersetzt worden ist, so ist doch der von dieser Norm ausgehende massive, sozialisatorisch wirksame Unterwerfungs- und Anpassungsdruck auf den Einzelnen erhalten geblieben. Es ist deshalb begründet davon auszugehen, dass zahlreiche Menschen nicht aufgrund eines autonomen Überzeugungsbildungsprozesses, sondern nur infolge dieser sozialisatorisch-kulturellen Drucksituation und Alternativlosigkeit Muslime (geblieben) sind.
Vor diesem religiös-ideologischen Hintergrund ist es völlig konsequent, dass dem orthodoxen Islam die säkulare Lebensordnung als „Gottlosigkeit“, „Irrglaube“, „Ketzerei“, „Verwestlichung“, „Kolonialismus“ etc. gilt und die kulturelle Moderne umfassend negiert wird. Demokratische Spielregeln werden nur insoweit akzeptiert, wie sie sich für die Propagierung und Etablierung der islamischen Herrschaftskultur ausnutzen und missbrauchen lassen. Die in ihrer gutgläubigen Naivität ebenso peinlichen wie selbstentwürdigenden Versuche eines „interkulturellen Dialogs“ mit den islamischen Herrschaftsträgern und Deutungsmächtigen scheitern schon daran, dass im Islam der Verstand nicht das „Organ“ rational-analytischer Welterfassung bzw. der subjektive Ermöglichungsgrund begreifender Wirklichkeits- und Selbsterkenntnis ist, sondern garantierende Prämisse und Verkörperung des Gehorsams gegenüber Allah.
Da bezogen auf den Islam zwischen Kulthandlung und weltlichem Geltungs-, Regelungs- und Herrschaftsanspruch mit seinem grund- und menschenrechtswidrigen Inhalt nicht unterschieden werden kann, entfällt für den Islam die Berufung auf das Recht auf freie Religionsausübung. Demgemäß sind auch Moscheen und Minarette nicht nur Sakralbauten, sondern aufgrund der orthodox-islamischen Einheit von Religion/Politik/Staat/Alltagsregelung auch Stätten der Verkündung und gesinnungsmäßigen Reproduktion grundrechtswidriger Aussagen, Werturteile und Normen, die der kulturellen Moderne entgegenstehen. In ihnen manifestiert sich der gesamtweltanschauliche (totalitär-antimenschenrechtliche) Herrschafts- und Bestimmungsanspruch des Islam.

Überhaupt kommt der juristische Begriff der „ungestörten Religionsausübung“ im Grunde einer gegenstandsinadäquaten Selbsttäuschung gleich, wenn er meint, sich auf „rein kultische“ Handlungen wie Beten, Gottesdienst, Pilgern etc. beziehen zu können. Denn mit Blick auf den Islam sind auch diese Kulthandlungen in wesentlichen Teilen untrennbar mit weltlichen Herrschafts- und Normierungsansprüchen verbunden. Zu verweisen ist hier zum Beispiel auf die dogmatisch vorgeschriebene Geschlechtertrennung in der Moschee („Freie Religionsausübung“ contra Gleichberechtigungsgrundsatz) oder, wie Schachtschneider anmerkt, die Erste Sure des Korans als Kurzgebet der Muslime, in dem Allah als Beherrscher aller Weltenbewohner beschworen wird. Gleiches gilt für den anmaßenden Inhalt des Muezzinrufs, der die Nichtmuslime im ständigen Rhythmus mit der drohenden Aussage konfrontiert: „Allah ist der Größte“. Generell ist der gesamte islamische „Gottesdienst“ - einschließlich des Muezzinrufs - auf die Primärbindung an das „Gesetz Gottes“/Scharia konzentriert und stellt diese ausschlaggebende Leitorientierung über die subjektive Bindung an die Prinzipien der FDGO.
Während ich Schachtschneider sowohl in seiner Kritik an Habermas (worauf an dieser Stelle nicht mehr eingegangen werden kann) als auch in seinem grundsätzlichen Befund folge, dass der Islam ohne hinreichende (und sehr unwahrscheinliche) Säkularisation keine des Grundrechtsschutzes aus Art. 4 Abs. 2 GG fähige Religion ist, lehne ich sein Plädoyer  gegen die laizistische Neutralität der Schulen ab. Damit wird eine kulturgeschichtlich aufbaute Erblast im Nachhinein dogmatisiert bzw. naturalisiert. Den Eltern bleibt es unbenommen, die Kinder - zum Beispiel im Kommunions- und Konfirmandenunterricht - bekenntnisreligiös unterweisen zu lassen. Zudem umgeht Schachtschneider hier die Interessenposition konfessionsloser Eltern, die zum Beispiel ein gleichberechtigtes Interesse daran haben könnten, dass ihre Kinder im Schulunterricht aus dem Testament des Abbé Meslier(24) oder aus Ludwig Feuerbachs „Wesen des Christentums“ lesen etc. Bildungspolitisch sinnvoll wäre deshalb die Einrichtung eines bekenntnisneutralen Pflichtfachs „Religions- und Weltanschauungskunde“. Damit würde am besten dem Grundsatz entsprochen, dass dem Staat ein Bildungs- und Erziehungsauftrag zukommt, „unabhängig von den Vorstellungen der betroffenen Eltern“. Im Unterschied zu Schachtschneider plädiere ich für eine längst überfällige Durchsetzung einer konsequent weltanschauungsneutralen Schule, die in Curriculum und Gesamtatmosphäre vom Geist menschenrechtlicher Sittlichkeit getragen wird und diesen nicht durch rückweichlerische Sonderregelungen für religiöse Spezialgruppen aufweicht und letztlich zersetzt.

Fazit
Der Islam in seiner orthodoxen Grundgestalt (und nicht erst in seiner islamistisch radikalisierten Form) verkörpert eine religiös artikulierte totalitäre Weltanschauung und Herrschaftslehre, die der säkular-demokratischen Gesellschafts- und Lebensordnung feindlich entgegensteht und auf ein Gemeinwesen ohne Freiheit und individuelle Grundrechte abzielt. Die religiöse Bedeutungsarchitektur und Artikulationsweise dieser Weltanschauung ermäßigt keinesfalls ihren grund- und menschenrechtswidrigen (totalitären) Grundcharakter. Eher verschärft der religiöse Artikulationsmodus den totalitären Charakter, indem er ihn als „gottgewollt“ inszeniert und legitimiert.
Da der deutsche Staat, seine zentralen Instanzen bis hin zum Bundesverfassungsgericht sowie die erdrückende Mehrheit der politischen Klasse im Rahmen des anachronistischen nationalen Religionsdiskurses den totalitären Grundcharakter des Islam nicht nur verkennen, sondern a) die Etablierung und Expansion der islamischen Herrschaftskultur systematisch fördern und b) islamkritisch-bürgerschaftliches Engagement ebenso systematisch diskriminieren , steht im Grunde bereits Art. 20 Abs. 4 GG auf der Tagesordnung. Nämlich „das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“

 

Literaturverzeichnis:

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Beichler, Eckehart: „Kriegskommunismus“ und „Neue Ökonomische Politik“ in ihren Auswirkungen auf die bolschewistische Religionspolitik. Von der Religionskritik der marxistischen Klassiker zur religionspolitischen Praxis im bolschewistischen Russland der Jahre 1917 bis 1923. Göttingen 1980.

Czermak, Gerhard: Religions- und Weltanschauungsrecht. Eine Einführung. In Kooperation mit Prof. Dr. Dr. Hilgendorf. Berlin Heidelberg 2008.

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Jacobeit, Sigrid und Wolfgang: Illustrierte Alltagsgeschichte des deutschen Volkes 1810 – 1900. Köln 1987.

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Krauss, Hartmut: Faschismus und Fundamentalismus. Varianten totalitärer Bewegung im Spannungsfeld zwischen ‚prämoderner’ Herrschaftskultur und kapitalistischer ‚Moderne’. Osnabrück 2003

Krauss, Hartmut (2007): Staatliches Handeln und Religion/Islam: Passiver Nachtwächterstaat, aktiver Garant demokratischer Grundrechte oder postsäkularer „Geschäftspartner“? http://www.glasnost.de/autoren/krauss/staatundislam.html

Krauss, Hartmut: Islam, Islamismus, muslimische Gegengesellschaft. Eine kritische Bestandsaufnahme. Osnabrück 2008.

Kühnl, Reinhard: Der deutsche Faschismus in Quellen und Dokumenten, Köln 1975.

Marx, Karl: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung. MEW Band 1. Berlin 1988, S. 378-391.

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Reich, Wilhelm: Massenpsychologie des Faschismus. Kopenhagen Prag Zürich 1933.

Schachtschneider, Karl Albrecht: Grenzen der Religionsfreiheit am Beispiel des Islam. Berlin 2010.

Topitsch, Ernst: Sozialphilosophie zwischen Ideologie und Wissenschaft. Neuwied am Rhein und Berlin 1966. 2. Auflage.

Wick, Lukas: Islam und Verfassungsstaat. Theologische Versöhnung mit der politischen Moderne? Würzburg 2009.


1. Der Versuch, vormoderne (ständisch-absolutistische) Herrschaftsverhältnisse unter den Bedingungen der kapitalistisch dominierten Moderne mit modernen (technologischen, ökonomischen, bürokratischen) Mitteln wiederherzustellen, endet im faschistischen Totalitarismus. Parallel dazu führt auch der Versuch, den Sozialismus in einem durch und durch vormodern geprägten Land mit Hilfe imitierender Anwendung industriekapitalistischer Methoden im Zeitrafferverfahren einzuführen, zur Hervorbringung des stalinistischen Totalitarismus. Heute ist der islamistische Totalitarismus bestrebt, eine sittenterroristische Theokratie unter Einsatz technisch-ökonomischer Modernität zu errichten. Gemeinsam ist allen drei Formen des Totalitarismus die militante Negation der kulturellen Moderne. Vgl. Krauss 2003.

2. Dieses von Habermas (2005) postulierte Kantsche Programm, den moralischen Kern aus offenbarungsreligiöser Überlieferung herauszuschälen, lässt sich auch „gegen den Strich“ anwenden, nämlich den unmoralisch-herrschaftslegitimatorischen Bedeutungsgehalt religiöser Weltanschauungssysteme in ihrer gesellschafts- und subjektformierenden Auswirkungsbandbreite zu rekonstruieren.

3. Vgl. Al-Azm 1993, S. 98. Al-Azm verweist auf den hohen Übereinstimmungsgrad zwischen dem christlich-fundamentalistischen und dem islamistischen Abwehrkampf gegen die säkular-demokratische Moderne. Beide Varianten des religiösen Extremismus fordern vehement den repressiven Allmachts- bzw. Absolutheitsanspruch der eigenen ‚Religion’.

4. Heute wiederholt sich dieser Zusammenprall als aggressiv-militante Abwehrreaktion der islamischen Herrschaftskultur gegen die westliche Moderne. Vgl. Krauss 2003 und 2008.

5.„Fünftens: Als ganz sicher halte ich fest und bekenne aufrichtig, dass der Glaube nicht ein blindes religiöses Gefühl ist, das aus dem Dunkel des Unterbewusstseins im Drang des Herzens und aus der Neigung des sittlich geformten Willens entspringt, sondern dass er eine wahre Zustimmung des Verstandes zu der von außen durch Hören empfangenen Wahrheit ist, durch die wir auf die Autorität Gottes des Allwahrhaftigen hin für wahr halten, was uns vom persönlichen Gott, unserm Schöpfer und Herrn, gesagt, bezeugt und geoffenbart worden ist.“ Mit dem Eid wird zudem auch die Auffassung verworfen, die „Schriften der einzelnen Väter müssten nach rein wissenschaftlichen Grundsätzen erklärt werden unter Ausschluss jeder Autorität und mit derselben Freiheit des Urteils, mit der man jedes außerkirchliche Denkmal der Geschichte erforscht.“
http://www.payer.de/religionskritik/antimodernisteneid.htm#2.

6. Zit. n. Jacobeit und Jacobeit 1987, S. 300.

7. Wie Fußnote zuvor.

8. Der Pro-Faschismus der evangelischen Kirche soll hier natürlich nicht verschwiegen werden:
Die mit einer halben Million Mitgliedern größte evangelische Massenorganisation, der „Evangelische Bund zur Wahrung deutsch-protestantischer Interessen“, war schon 1924 ins faschistische Lager übergelaufen.
In der Predigt des evangelischen Bischofs Dibelius bei der Eröffnung des Reichstags am 21.3.1933 wird in entlarvender Deutlichkeit die obrigkeitsfromme Tradition des lutherischen Protestantismus als Legitimationsfolie für das Bekenntnis zum Naziregime bemüht: „Wir haben von Dr. Martin Luther gelernt, daß die Kirche der rechtmäßigen staatlichen Gewalt nicht in den Arm fallen darf, wenn sie tut, wozu sie berufen ist. Auch dann nicht, wenn sie hart und rücksichtslos schaltet“ (zit. n. Kühnl 1975, S. 222).
Die vollständige Angleichung der evangelischen Kirche an das faschistische System kommt z. B. im Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Geistlichen und Kirchenbeamten zum Ausdruck. Darin heißt es: „Wer nicht arischer Abstammung oder mit einer Person nicht arischer Abstammung verheiratet ist, darf nicht als Geistlicher oder Beamter der allgemeinen kirchlichen Verwaltung berufen werden. ... Geistliche oder Beamte arischer Abstammung, die mit einer Person nichtarischer Abstammung die Ehe eingehen, sind zu entlassen. Wer als Person nichtarischer Abstammung zu gelten hat, bestimmt sich nach den Vorschriften der Reichsgesetze ... Geistliche oder Beamte, die nach ihrer bisherigen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat und die Deutsche Evangelische Kirche eintreten, können in den Ruhestand versetzt werden“ (ebenda, S. 223).

9. Als dominante Weltanschauungsformen vormoderner Herrschaftsverhältnisse sind religiöse Bedeutungssysteme dadurch gekennzeichnet, dass in ihrem Wirken die Vermittlung einer Gehorsams- und Untertänigkeitsmoral untrennbarer Teilaspekt ihrer gesellschaftlichen Legitimationsfunktion ist. Insofern existiert tatsächlich eine enge Kopplung von ‚Religion’ und ‚Moral’. Allerdings handelt es sich bei dieser herrschaftsfunktional eingebetteten Moralform weder um eine allgemeinmenschliche Moral noch um eine - mit Blick auf die Wirkung betrachtet - moralische „Veredelung“ der religiösen Subjekte.

10. Der nihilistische Liberalismus und der Kulturrelativismus sind heute die geistigen Zwillingsbrüder des religiösen Konservatismus.

11. Man befrage Atheisten, die heute unter islamischen Herrschaftsbedingungen leben. Christen werden oftmals „nur“ verfolgt, Atheisten an offenem Auftreten massiv gehindert und damit soziokulturell schon im Keim erstickt bzw. als Lebensform „abgetrieben“. Die Lage der Frauen und der Atheisten wird ein Kriterium dafür sein, was wirklich dran ist an der „Demokratie in Arabien“.

12. Zur Herausarbeitung der konstitutiven Wesens- und Funktionsmerkmale des orthodoxen Islam vgl. Krauss 2008, insbesondere S. 108ff. Wissenschaftlich unhaltbar bzw. indiskutabel ist nicht die Reflexion und begriffliche Erfassung dieser Wesensspezifik, sondern deren Leugnung (die nichts mit Wissenschaft zu tun hat, sondern nur davon Zeugnis ablegt, dass man sich aus opportunistischen Gründen dem „politisch korrekten“ Meinungsdiktat unterwirft.)

13. Schachtschneider sieht eine solche Einschränkung in Art. 135 WRV.

14. Grundsätzlich fällt das Bundesverfassungsgericht damit noch hinter jene elementare Einsicht Immanuel Kants zurück, die dieser in durchaus pro-religiöser Grundhaltung darlegte: „Der Satz ‚man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen’ bedeutet nur, daß, wenn die letzten etwas bieten, was an sich böse (dem Sittengesetz unmittelbar zuwider) ist, ihnen nicht gehorcht werden kann und soll. Umgekehrt aber, wenn einem politisch bürgerlichen, an sich nicht unmoralischen Gesetze ein dafür gehaltenes göttliches statuarisches entgegengesetzt wird, so ist Grund da, das letztere für untergeschoben anzusehen, weil es einer klaren Pflicht widerstreitet, selbst aber, dass es wirklich auch göttliches Gebot sei, durch empirische Merkmale niemals hinreichend beglaubigt werden kann, um eine sonst bestehende Pflicht jenem zufolge übertreten zu dürfen.“ ( Kant 1974, S. 127; Hervorhebung von mir, H. K.)

15. Das bedeutet: Auch im Privatraum darf der Muslim keine den geltenden Rechtsprinzipien widersprechenden religiös abgeleiteten Handlungen ausführen. Oder anders formuliert: Auch die islamische Privatsphäre unterliegt den Bestimmungen des Grundgesetzes und bietet keinen Rückzugsraum für Handlungen gemäß der Scharia.

16. Dieser normativen Logik der säkular-demokratischen Republik „widerspricht die Dogmatik der Religionsfreiheit seitens des Bundesverfassungsgerichts; denn ein Recht, zu leben und zu handeln, wie es die Religion gebietet, ist mit dem Sittengesetz, dem Rechtsprinzip also als dem Gesetz der inneren Freiheit in der Republik … unvereinbar.“ (S. 31).

17. Die fundamentalistischen Strömungen des Christentums widersetzen sich strikt der Beschränkung auf die „Zweite Welt“. Das gilt insbesondere dort, wo aufklärungshumanistische Gegenkräfte soziokulturell einflussschwach geblieben sind (USA, Lateinamerika, Teile von Afrika). Allerdings ist folgender Wesensunterschied zwischen Christentum und Islam festzuhalten: Während die Bibel ein multiautorenschaftlicher, zeitlich uneinheitlicher und deshalb historisch bzw. umstandsbezogen interpretierbarer Text ist, ist der Koran im orthodoxen Verständnis kein geschaffener Text, der kontextspezifisch auslegbar wäre, sondern das unmittelbare Wort Allahs an die Menschen, das nicht auf seine menschlichen Komponenten hin befragt werden darf.

18. Ich beziehe mich in diesem islambezogenen Teil des Textes auf meine eigenen islamanalytischen Ergebnisse und nicht auf die von Schachtschneider herangezogene Literatur.

19. Die aus Gründen der Ablenkung vom Wesentlichen immer wieder ins Spiel gebrachten und im Hinblick auf ihre Wirkungsrelevanz weit überschätzten Reformversionen sind aufgrund ihres subjektiv-willkürlichen Charakters unmaßgeblich. Als ausschlaggebend ist vielmehr der Tatbestand zu betrachten, dass die überwiegende Mehrheit der islamischen Religionsgelehrten elementare Grundprinzipien der säkular-demokratischen Rechts-, Gesellschafts- und Lebensordnung ablehnt. Vgl. Wick 2009.

20. Das ‚fitra’-Konzept bildet gewissermaßen den elementaren ‚Mikrochip’ der universellen Herrschaftslehre des Islam. Auf diese Weise wird im gleichen ideologischen Atemzug die islamische Form der Gottesfiktion naturalisiert und die menschliche Natur islamisiert. Demnach wird jeder Mensch als Muslim geboren. Erst widrige soziokulturelle Einflüsse des äußeren Milieus machen ihn zu einem Juden, Christen, Zoroastrier, Polytheisten, Atheisten etc. und verhindern seine „naturgemäße“ islamgerechte Ausformung. D. h.: Die islamische, von Gott verliehene Ursprungsnatur des Menschen wird nach der Geburt durch eine nichtislamische Umwelt verdorben. Die - sagen wir gelinde- Inkompatibilität der islamischen Weltanschauungslehre mit einer modernen freiheitlich-demokratischen Grundordnung könnte „himmelschreiender“ kaum ausfallen.

21. Zur detaillierten Analyse des Islam als normative Grundlage eines vormodernen Herrschaftssystems vgl. Krauss 2008.

22. Wie der Autor überzeugend darlegt, handelt es sich bei der Kairoer Erklärung für Menschenrechte im Islam um ein Dokument der Täuschung und Irreführung, da es die Menschenrechte grundsätzlich unter Schariavorbehalt stellt.

23. Dass ich davon als Herausgeber des Buches profitieren könnte, lasse ich hier einmal augenzwinkernd beiseite.

24. Zur Installierung eines proislamischen Kollaborationsstaates in Deutschland vgl. Krauss 2007.

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