Hartmut Krauss

Jenseits von euphorischer Zustimmung und hysterischer Verdammung.

Eine rational-kritische Auseinandersetzung mit Thilo Sarrazins Buch

„Deutschland schafft sich ab“

 

Vorbemerkung

1. Demographische Entwicklung, spätkapitalistischer Arbeitsmarkt und Reproduktionsverhalten

2. Struktur und Beschaffenheit der Armutspopulation im Rahmen des deutschen Sozialsystems

3. Zur Kritik von Sarrazins erbbiologischer Rechtsfertigungsideologie sozialer Ungleichheit

4. Erscheinungsformen und Ursachen des Bildungsrückgangs in Deutschland.

5. Orthodox-islamische Sozialisation als Kernaspekt des Migrations-Integrations-Problems

Ausblick

 

 

Vorbemerkung

Die einen verehren ihn als einen Helden, der das Tabu der politisch korrekten Meinungsdiktatur der Mainstreammedien endlich gebrochen hat und Klartext redet. Die anderen verdammen ihn als einen rassistischen Unhold und drapieren ihn zu einem exemplarischen Gewährsmann für ihre Standardbehauptung, dass Kritik an der islamischen Herrschaftskultur und an bestimmten (reaktionär-menschenrechtsfeindlichen) Einstellungen und Verhaltensweisen von muslimischen Migranten per se „rechtslastig“, „fremdenfeindlich“, „islamophob“ etc. se(1).

Tatsächlich aber waren es nicht Sarrazins tatsächlich kritikwürdige biologistische und eugenische Thesen, die die Bundesbank, die politische Klasse, den parteichristlichen Bundespräsidenten und das Willy-Brand-Haus in hysterische Rage versetzt haben. Vielmehr waren es die von Sarrazins Thesen ausgehenden Störgeräusche für das Big Business mit den islamischen Herrschaftsträgern von Teheran über Riad bis Istanbul sowie für die muslimische Wählerklientel der SPD, die den eigentlichen Anlass für die herrschende Empörung bzw. für die Empörung der Herrschenden gaben. Denn gemessen an der ökonomisch-politischen Interessenverflechtung zwischen spätkapitalistischer Herrschaftselite und den „Schurkenregimen“ unter dem Banner Allahs, die nicht zuletzt einen tendenziellen Ausverkauf der kulturellen Moderne beinhaltet, sind Sarrazins Ausrutscher auf dem Parkett der Intelligenzforschung - auch im Bewusstsein der zustimmenden Rezeptionslandschaft - von zweitrangiger Bedeutung.

Was also ist dran an Sarrazins Thesen?
Zunächst einmal ist festzustellen, dass Sarrazin nichts grundsätzlich Neues bietet(2). Was er darlegt, ist allerdings die ausführliche und explizite Verknüpfung der folgenden Problembereiche/Diskurse:
1) Demographische Entwicklung; 2) Entwicklung der Armutspopulation; 3) Migrations-Integrations-Problematik in Kombination mit 4) biologistisch unterfütterter Bildungstheorie.
Während die Bevölkerung in Deutschland aufgrund einer zu niedrigen durchschnittlichen Geburtenrate (1,4 statt der zur Bestandserhaltung notwendigen 2,1 Kinder pro Frau) gleichzeitig altert und abnimmt (Schrumpfvergreisung), weisen die unteren (Bildungs-) Schichten - darunter eine überproportional hohe Zahl von insbesondere muslimischen Migranten - im Rahmen dieser Entwicklung eine höhere Reproduktionsrate auf als die oberen (Bildungs-)Schichten. Infolgedessen sinkt das ökonomisch relevante (wohlstandsfundierende) Leistungs- und Kreativpotential der Gesellschaft. Insbesondere zwei Kausalfaktoren rückt Sarrazin ins Zentrum dieser Entwicklung:
A. Das deutsche Sozialsystem sendet generell das Fehlsignal aus, vermittels der Kinderzahl den Transferbezug zu erhöhen: „Im deutschen System erhalten Familien mit niedrigem oder gar keinem Einkommen Prämien für ihre Kinder. Insoweit ist die soziale Schieflage in der deutschen Geburtenstruktur nicht verwunderlich“. (S.386).
B. Das deutsche Sozialsystem fungiert - im Vergleich zu den Herkunftsländern aber auch im Gegensatz zu Einwanderungsländern wie den USA und Kanada - als „Schlaraffenland“ für unqualifizierte und dysfunktional sozialisierte Einwanderer aus islamischen Ländern. „Die Fremden, die Frommen und die Bildungsfernen sind in Deutschland überdurchschnittlich fruchtbar. Im Falle der muslimischen Migranten sind diese drei Gruppen weitgehend deckungsgleich“ (S. 372). Gleichzeitig schrumpft die einheimische Bevölkerung mit mittlerer und hoher Bildung in jeder Generation um ein Drittel.
Als aktueller Tatbestand ist tatsächlich festzuhalten, dass im Vergleich zu den Einheimischen der Bevölkerungsanteil mit Migrationshintergrund durch einen deutlich höheren Anteil von Familien mit Kindern sowie von kinderreichen Familien gekennzeichnet ist. „So ist beispielsweise der Anteil von Frauen mit Migrationshintergrund an allen Müttern mit vier oder mehr Kindern überdurchschnittlich hoch und hat sich von 14% bei den älteren Jahrgängen (1933 bis 1943) auf 42% bei den 1964 bis 1973 geborenen Müttern erhöht.“(3) Ursächlich hierfür ist die Tradierung eines streng konservativen Lebensstils mit rigiden Rollenmustern insbesondere bei Zuwanderern aus vormodern-islamisch geprägten Sozialmilieus, in deren Rahmen Kinderlosigkeit sowie ein Leben außerhalb des Typus der „Normalfamilie“ primär in Bezug auf Frauen negativ bewertet und sanktioniert wird.

1. Demographische Entwicklung, spätkapitalistischer Arbeitsmarkt und Reproduktionsverhalten

Eine höhere durchschnittliche Lebenserwartung sowie ein Absinken der Geburtenrate sind zunächst einmal das Produkt einer Verbesserung der menschlichen Daseinsbewältigung infolge a) eines akkumulierten wissenschaftlich-technischen Fortschritts, darin eingeschlossen der medizinische Fortschritt, b) einer Erhöhung des durchschnittlichen Bildungsniveaus und der Wissensaneignung vermittels der Ausdehnung von Ausbildungszeiten, c) der zunehmenden Erwerbstätigkeit von Frauen (Auflösung des reinen Hausfrauendaseins), d) der Installierung sozialer Sicherungssysteme und e) der soziokulturellen Modernisierung von Lebensläufen und Lebensstilen.
Im vorherrschend negativen gesellschaftlichen Diskurs wird die Zunahme von mehr älteren Menschen, die de facto ein höheres Wohlstandsniveau indiziert, im Sinne eines ökonomistisch-utilitaristischen Nutzendenkens primär als Belastung angesehen und implizit suggeriert, als erkrankten alle Gesellschaftsmitglieder ab 65 an Alzheimer und müssten fortan in Altenheimen rund um die Uhr gepampert werden. Tatsächlich aber sind heutzutage Menschen im Alter zwischen 60 und 80 Jahren und darüber hinaus im Durchschnitt bzw. in einer sehr großen Zahl viel fitter, agiler und kognitiv sowie sozialkommunikativ deutlich leistungsfähiger als ältere Menschen in früheren Jahrzehnten, ohne dass dieses deutlich gewachsene „Fitnesspotential“ gesellschaftlich genügend genutzt und gefördert wird. Zu denken wäre zum Beispiel an unterschiedliche Formen von Teilzeitbeschäftigung und honorierter Beratungs- und Unterstützenstätigkeit in Kombination mit dem Rentenbezug etc. Voraussetzung hierfür wäre allerdings die Überwindung des verbreiteten Jugendwahns in Personalbüros sowie in der konsumistischen Werbeindustrie, d h. ein struktureller und mentaler Umbau der „alternden“ Gesellschaften. Insbesondere müsste die aktuelle Tendenz gebrochen werden, ältere Beschäftigte vorschnell auszusortieren und gleichzeitig jüngere Beschäftigte als „Dauerpraktikanten“ mit niedrigen Gehältern und befristeten Verträgen zu verheizen. Diese destruktive Doppelung legt zum einen auf irrationale Weise „Humankapital“ brach und bestärkt auf der anderen Seite ein defensives Reproduktionsverhalten der jüngeren Beschäftigten.
Mit seiner grundsätzlich unkritischen Einstellung gegenüber dem spätkapitalistischen Herrschafts- und Arbeitssystem (das er wie so viele systemkonforme Ideologen als „Naturform“ behandelt) lässt Sarrazin auf der einen Seite die Hauptursache für das unter die Bestandserhaltung sinkende Reproduktionsniveau der Bevölkerung außer Acht, nämlich die gravierende Zunahme „prekärer“, befristeter und schlecht entlohnter Beschäftigungsverhältnisse, die den subjektiven Aufbau einer halbwegs abgesicherten sozialen Zukunftsperspektive und Lebensplanung mit Familiengründung und Erfüllung von Kinderwünschen systematisch erschweren. D. h.: Die im Zeichen des neoliberalen Umbaus der spätkapitalistischen Gesellschaft durchgesetzte umfassende Flexibilisierung(4) und Risikosteigerung der Lohnarbeit sowie der verschärfte arbeitsmarktbezogene Konkurrenzdruck (Neuformierung des stummen Zwangs der ökonomischen Verhältnisse) sind wesentlich dafür verantwortlich, dass die Erzeugung von Nachwuchs in den produktiven (arbeitsorientierten) Kernschichten der Gesellschaft unter die Bestandserhaltungsrate abgerutscht ist. Hinzu kommt der Tatbestand, dass sich im Übergang vom Goldenen Zeitalter des fordistischen Kapitalismus zum postfordistischen Risikokapitalismus die Reproduktionsbedingungen der Lohnabhängigen dahingehend verändert haben, dass zum Familienunterhalt nicht mehr nur ein Gehalt ausreicht, sondern der Übergang zu Doppelverdienerhaushalten vollzogen werden musste, was sich ebenfalls negativ auf die Erzeugung von Nachkommen auswirkt. „Während die Zahl der Erwerbstätigen in sogenannten Normalarbeitsverhältnissen von 1997 bis 2007 um 1,5 Millionen gesunken ist, stieg die Anzahl der Personen in neuen oder atypischen Beschäftigungsformen in diesem Zeitraum um 2,6 Millionen an. Insgesamt ergibt sich für alle abhängig Beschäftigten eine Zunahme um 1,1 Millionen“(5). Zudem ist der Anteil der Vollzeitbeschäftigten im Niedriglohnsektor in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Arbeiteten nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit vor zehn Jahren noch 16,6 Prozent der Arbeitnehmer in Westdeutschland für einen Niedriglohn, waren es 2009 bereits 20,2 Prozent. In Ostdeutschland stieg die Quote den Angaben zufolge von 17,9 Prozent auf 21,3 Prozent(6). Wie das Institut für Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen festgestellt hat, sind insgesamt 6,55 Millionen Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor tätig. Innerhalb von zehn Jahren sei die Zahl der Niedriglohnempfänger um 2,3 Millionen Menschen gewachsen. „Besonders stark betroffen seien Minijobber, Beschäftigte unter 25 Jahren, Ausländer, Frauen, gering Qualifizierte und befristet Beschäftigte. Im Untersuchungszeitraum von 1995 bis 2008 habe sich der Anteil der Niedriglohnbeschäftigten in Deutschland von 14,7 Prozent auf 20,7 Prozent erhöht, teilte das IAQ mit. ‚Kein anderes Land’ habe ein derartiges Wachstum des Niedriglohnsektors erlebt.“(7)
Abstrahiert man von der willkürlichen (kontingenten) Umstrukturierung der spätkapitalistischen Arbeitsverhältnisse im Zeichen des Neoliberalismus sowie von der ebenso willkürlich fehlgeschlagenen „fordistischen“ Zuwanderungspolitik im kurzsichtigen Interesse des westdeutschen Großkapitals, dann erscheint auf der anderen Seite das stets zitierte Horrorgemälde von den überlasteten nachwachsenden Generationen, die immer mehr Alte ernähren müssten, als übertrieben bis schief. Denn dabei bleiben zumindest zwei sehr schwerwiegende Sacherhalte unberücksichtigt:
1) Der quantitativ abnehmende Nachwuchs reduziert nachhaltig den Konkurrenzdruck im Wettbewerb um mittlere bis höhere Erwerbsarbeitspositionen: Je weniger Wettbewerber in der gleichen Alterskohorte auf dem Arbeitsmarkt antreten, desto besser die Chancen für Nachwachsende mit einem mittleren bis hohen Qualifikationsprofil bzw. entsprechenden Zertifikaten (Stichwort: Fachkräftemangel) auf einem tendenziell deutlich entlasteten Arbeitsmarkt. In dieser durchaus wesentlichen Hinsicht verbessern sich somit potentiell die Lebensperspektiven der kommenden Generationen. Gleichzeitig könnte aufgrund der demographisch entlasteten Arbeitsmarktkonstellationdie Masse der nichterwerbstätigen Sozialtransferbezieher im erwerbstätigen Alter sinken, so dass infolgedessen die Sozialkassen entlastet würden. (Allerdings wäre das nur möglich, wenn gleichzeitig die soziokulturell divergenten und sozialisatorisch dysfunktionalen Sozialmilieus eingedämmt bzw. proportional reduziert werden.)
2) Im vorherrschenden einseitigen Diskurs werden die Alten ausschließlich als Kostenfaktor und die Jüngeren als Kostenträger beschworen. Dabei wird aber übersehen, dass die Alten insbesondere auch als vererbende Sponsoren und die Jüngeren als erbende Nutznießer fungieren. Insgesamt betrachtet haben die privaten Haushalte in Deutschland ein Gesamtvermögen von brutto fast 11 Billionen Euro aufgebaut, an dem vor allem Ältere einen Anteil haben. Vor diesem Hintergrund ist in den Jahren bis 2020 mit einem Gesamtvolumen (Geld-, Immobilien- und Gebrauchsvermögen) an Erbschaften von 3,3 Billionen Euro in rund 11 Millionen Erbschaftsfällen zu rechnen. Davon entfallen auf den Zeitraum 2009 bis 2014 etwa 1.425 Milliarden Euro, während zwischen 2015 und 2020 das Volumen auf 1.900 Milliarden Euro ansteigen dürfte. Das vererbte Geldvermögen dürfte sich bis zum Jahr 2020 auf etwa 1.560 Milliarden Euro belaufen(8). Das bedeutet: Auf einen quantitativ verkleinerten Nachwuchs läuft in mehr als der Hälfte der Fälle eine nicht zu verachtende Erbschaftslawine zu, zu der gerade auch kinderlose Onkel und Tanten sowie andere Verwandte beitragen(9). Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, dass Erbschaften ebenso wie das Vermögen ungleich verteilt sind. Immerhin sind aber mehr als die Hälfte der Bevölkerung Erben in spe. Dabei wird in etwa zwei von drei Erbfällen das durchschnittliche Erbvolumen von 240.000 Euro je Erbfall nicht erreicht. „Vor dem Hintergrund eines wesentlich höheren Einkommens und Vermögens sind vor allem in den alten Bundesländern hohe Erbschaften zu verzeichnen; die Erbschaften in den neuen Bundesländern erreichen nur 35 Prozent des Durchschnittsniveaus der alten Bundesländer. Das durchschnittliche Erbvolumen Hamburgs ist beispielsweise mehr als viermal so hoch wie in Mecklenburg-Vorpommern.“(10)
Fazit: Eine Zunahme von älteren und alten Menschen aufgrund einer höheren durchschnittlichen Lebenserwartung ist prinzipiell ein Indikator für ein hohes gesellschaftliches Lebensniveau. Demgegenüber ist das Absinken der Reproduktionsrate unter das Bestandsniveau/Typ 1 das kontingente Resultat eines durch absolute Profitdominanz geprägten Systems der gesellschaftlichen Arbeit, während der Anstieg der Reproduktionsrate über das Bestandsniveau/Typ 2 (mit der Folge der systematischen Lebensverschlechterung der expansiv nachwachsenden Generationen) Ausdruck prämodern-rückständiger Sozialverhältnisse und entsprechender ideologischer (religiöser) Bedeutungssysteme ist. Die gesellschaftliche Problematik in weiten Teilen Europas und so auch in Deutschland ist nun dadurch gekennzeichnet, dass sich zuwanderungsbedingt eine negative Synergie bzw. problematische Koexistenz zwischen beiden Typen herausgebildet hat(11). Generell ist davon auszugehen, dass die dialektische Verflechtung und Durchdringung von spätkapitalistischer und prämodern-religiöser Herschaftskultur die dynamische Pathologie der Spätmoderne kennzeichnet: „Der Islam (und mit ihm seine sozialisationswirksame Herrschaftskultur) gehört zu(m spätkapitalistischen, parteichristlich-neoliberal regierten) Deutschland“.(12)

2. Struktur und Beschaffenheit der Armutspopulation im Rahmen des deutschen Sozialsystems

Armut im klassischen Sinne bezeichnet ein Lebensniveau am Rande des physischen Existenzminimums, wie es in weiten Teilen der Welt nach wie vor massenhaft vorkommt. Im Sinne einer universalistischen Menschenrechtsorientierung ist es deshalb fragwürdig, die Lebenslage von deutschen Sozialtransferbeziehern im Vergleich zu absolut verarmten Menschengruppen in nichtwestlichen Weltregionen als „arm“ anstatt als „unterdurchschnittlich“ zu bezeichnen, wie es die sozialstatistische Definition ohnehin nahe legt. So gilt nach OECD-Kriterien jemand als arm, dessen Einkommen bei unter 50% des mittleren Nettoäquivalenzeinkommens im nationalstaatlichen Referenzrahmen liegt. Außerhalb dieses nationalstaatlichen Vergleichshorizonts zeigt sich nach Sarrazins folgender Behauptung das relative hohe Niveau des in Deutschland kursierenden Armutsbegriffs: „Deutsche Transferempfänger leben wie der durchschnittliche Tscheche, aber deutlich besser als der durchschnittliche Pole und weitaus besser als der durchschnittliche Türke“ (S. 148).
In der öffentlichen Debatte über „Armut in Deutschland“, wie sie im Anschluss an die Einführung der „Hartz IV“-Regelung bzw. der Zusammenlegung der Sozialhilfe und der vormaligen Arbeitslosenhilfe zum Arbeitslosengeld II geführt wurde und wird, haben sich zwei entgegen gesetzte stereotype Grundpositionen verfestigt:
1. Der Opfer-Diskurs. Demnach werden alle ALG II-Bezieher pauschal als händeringend nach Arbeit Suchende beschworen, die unentwegt Bewerbungen schreiben, aber trotz des permanent bezeugten Arbeitswillens immer wieder durch die Personalbüros der Unternehmen frustriert und dadurch in subjektiv absolut unverschuldeter Weise aus dem Erwerbsarbeitssystem ausgrenzt werden - wenn sie nicht gerade in Mini- und Ein-Euro-Jobs einer rigiden Ausbeutung unterliegen.
2. Der Schmarotzer-Diskurs. Demgemäß handelt es sich bei den ALG II-Beziehern weitestgehend oder doch in der Mehrzahl der Fälle um Leute, die vorsätzlich und gezielt auf Kosten der Allgemeinheit das Sozialtransfersystem auszunutzen, um sich so dauerhaft dem System der Erwerbsarbeit zu entziehen und sich dabei unterschiedlichster Methoden bedienen, darunter die bewusste Einplanung von Kindergeld: „Nicht Kinder produzieren Armut“, so Sarrazin (S. 149), „sondern Transferempfänger produzieren Kinder.“
Hinter diesen beiden Diskursen stehen gegensätzliche (Klientel-)Interessen: Der Opfer-Diskurs wird primär von der „Linkspartei“ und den Wohlfahrtsverbänden vertreten, der Schmarotzer-Diskurs vornehmlich von neoliberalen Kreisen. Als „einen führenden Ideologen der deutschen Armutsdiskussion“ stellt Sarrazin den Kölner Politologen Christoph Butterwegge an den Pranger. Dieser sei „ein typischer Vertreter jener Kaste von Wissenschaftlern, Politikern und Verbandsfunktionären, die Bedeutung daraus gewinnt, dass sie Armut in Deutschland extensiv definiert und intensiv beklagt. Mit der Selbstgerechtigkeit der moralisch Überlegenen bevölkern er und seinesgleichen die Talkshows, wo sie jene niedermachen, die es wagen, mit Daten und Fakten zu kommen.“ (S. 86). Demgegenüber bemüht Sarrazin die Statistik, die zu belegen scheint (wie er sich ausdrückt), dass die Sozialtransferbezieher deutlich mehr Kinder bekommen als der vergleichbare Rest der Bevölkerung. „Damit wächst in unserem Bildungssystem der Anteil der Kinder aus bildungsfernen Unterschichtfamilien kontinuierlich. Nach Abschluss einer meist wenig erfolgreichen Schullaufbahn schlagen die wenig qualifizierten Kinder großenteils den Weg ihrer Eltern ein und bekommen wieder überdurchschnittlich viele Kinder.“ (S. 149f).

Beide widerstreitenden Diskurse unterstellen - wenn auch mit umgekehrtem Vorzeichen - die Bezieher von ALG II im Grunde als homogene Masse(13). Was demgegenüber sowohl wissenschaftlich als auch politisch und damit auch in der öffentlichen Debatte auf der Strecke bleibt, ist eine umfassende und präzise Erfassung der „Hartz-IV-Bevölkerung“ auf der Grundlage einer differenzierten und multidimensionalen Zusammensetzungsanalyse, die auch subjektive Verarbeitungsprofile der Betroffenen herausarbeitet. Unterbleibt diese wissenschaftlich-analytische Fundierung, dann bewegt sich die Debatte weiterhin auf dem chaotisch-dürftigen Niveau des Beispiel-Gegenbeispiel-Schlagabtauschs von Talkshows, in der die eine Seite beflissene Dauerbewerbungsschreiber und die andere Seite „Hartz-IV-Playboys“ wie Arno Dübel präsentiert.
Zu erfassen wären zum Bespiel neben der Aufdeckung der Alters- und Geschlechtszusammensetzung, der schulischen und beruflichen Qualifikationen, des Gesundheitszustandes, der Bezugsdauer, des Arbeitsmarktverhaltens, der Teilnahme an sinnvollen und sinnlosen Weiterbildungen etc. a) die unterschiedlichen kausalen Konstellationen der Arbeitslosigkeit insbesondere im Vergleich zwischen West- und Ostdeutschland sowie b) im Verhältnis zu den unterschiedlichen Segmenten der Zuwanderer (EU-Ausländer, Spätaussiedler, Zuwanderer von außerhalb der EU differenziert nach Herkunftsländern und soziokulturellen Hintergründen etc. ). Zudem wären unterschiedliche erwerbsbiographische Betroffenheitsprofile zu gewichten (zum Beispiel: junger lediger ALG II Empfänger ohne Berufserfahrung im Unterschied zum älteren Bezieher, der nach einer langen Berufslaufbahn aufgrund einer Betriebsstilllegung arbeitslos geworden ist). Nicht zuletzt wären aber auch unterschiedliche subjektive Verarbeitungs- und Bewertungsformen der ALG II Lage zu ergründen. (Um die Extreme zu benennen: Wird der Bezug als katastrophal und unbedingt zu verändern eingeschätzt oder als passable Situationsmöglichkeit, sich mit Glück und Geschick dauerhaft dem Zwang zum Verkauf der eigenen Arbeitskraft zu entziehen?)
Voraussetzung für eine solche längst überfällige Konstitutionsanalyse der „Hartz-IV-Bevölkerung“ wäre die Gewährleistung einer anforderungsadäquaten amtlichen Statistik nach wissenschaftlichen und nicht nach vorgelagerten politischen Bedürfnissen. Tatsächlich aber ist die offizielle Statistik nicht auf der Höhe der Zeit und behindert somit eine solide Debatte über das Verhältnis von Arbeitsmarkt- und Integrationsproblematik. Sarrazin ist ohne Abstriche zuzustimmen, wenn er wie folgt bemängelt: „Die Bundesagentur weist in ihrer Statistik der Empfänger von Grundsicherung zwar die Nationalität der Empfänger nach, sie differenziert aber nicht nach dem Migrationshintergrund, und die Bedarfsgemeinschaften werden nicht nach Nationalität ausgewiesen. Die Statistik der Bundesagentur enthält also weder eine indirekte noch eine direkte Information zum Gewicht der muslimischen Migranten bei den Beziehern von Transfereinkommen“ (S. 285).
Auch in Untersuchungen von (zwar staatlich, aber nicht auftragswirtschaftlich) unabhängigen Institutionen wie dem Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung(14) wird lediglich nach Herkunftsländern und -regionen unterschieden, aber nicht der weltanschaulich-religiöse Sozialisationshintergrund erfasst, wenn zum Beispiel von Afrikanern, Zuwanderern aus dem ehemaligen Jugoslawien oder aus Fernost die Rede ist. Auch im Hinblick auf das Herkunftsland Türkei wäre zu unterscheiden, ob es sich jeweils um Aleviten, säkulare Kemalisten oder sunnitische Muslime handelt(15). Ebenso werden fälschlicherweise Iraner pauschal als Muslime klassifiziert(16), obwohl sich unter ihnen zahlreiche Religionslose, Ex-Muslime und islamkritische Personen befinden.

Genau genommen wissen wir also gar nicht hinreichend über die realen quantitativen Konturen, qualitativen Verarbeitungsweisen und lagegenerierenden Faktorenzusammenhänge der unterschiedlichen (inhomogenen), in ihrem Profil wahrscheinlich stark divergierenden Teilgruppen der ALG-II-Empfänger Bescheid. (Zum Bespiel: „abgewickelte“ ostdeutsche Vereinungsverlierer, kinderreiche und bildungsferne orthodox-islamisch sozialisierte Zuwanderer; gering qualifizierte westdeutsche Langzeitarbeitslose mit einer Suchtproblematik etc.)
Dennoch lassen sich folgende Strukturmerkmale hervorheben, die den pauschalierenden „Schmarotzer-Diskurs“ erheblich relativieren, ohne damit allerdings dem ebenso pauschalen „Opfer-Diskurs“ Recht zu geben.

1) Zu berücksichtigen ist zunächst der Umstand, dass sowohl Alleinerziehende mit kleinen Kindern (bis zu drei Jahren) sowie Personen mit pflegebedürftigen Angehörigen innerhalb der Bedarfsgemeinschaft von der Erwerbsverpflichtung entbunden sind.

2) Das ALG II („Grundsicherung für Arbeitssuchende“) wird nicht nur von erwerbsfähigen Arbeitslosen im erwerbstätigen Alter bezogen, sondern auch von Erwerbstätigen mit einem Niedrigeinkommen. So erzielte im Herbst 2009 fast ein Viertel der erwerbsfähigen ALG II Empfänger Erwerbseinkommen. „Etwa ein Achtel hatte dabei ein Erwerbseinkommen von mehr als 400 Euro im Monat“ (Adamy 2010, S. 177). Während alleinstehende ALG II Bezieher relativ selten erwerbstätig sind, erzielen rund ein Drittel der Paar-Gemeinschaften mit Kindern ein Erwerbseinkommen. 15,4 Prozent von ihnen gingen zum genannten Zeitpunkt einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach, ohne von der eigenen  Erwerbsarbeit alleine existieren zu können. Auch von „den alleinerziehenden Müttern und Vätern gehen immerhin noch 12,5 Prozent einer sozialversicherten Voll- oder Teilzeitbeschäftigung nach“ (ebenda, S. 178).

3) Gunnar Heinsohn hat geltend gemacht, dass die „Hartz-IV-Bevölkerung“, die im Februar 2010 6, 53 Millionen Menschen umfasste, zu 26 Prozent aus Kindern unter 15 Jahren (1,7 Millionen) bestand. „Im leistenden Bevölkerungsteil(17) von 58 Millionen Bürgern unter 65 Jahren dagegen gibt es nur 16 Prozent Kinder (9,5 Millionen). Doch selbst der 26-Prozent-Kinderanteil in Hartz IV ist nur ein Anfang. Er wird weiter wachsen, weil er bei den Kleinsten schon sehr viel höher liegt. So hatte Bremerhaven(18) vergangenes Jahr zwar ‚nur’ 33 Prozent der Kinder von 7 bis 15 Jahren auf Hartz IV. Bei den 0- bis 3-Jährigen aber waren es 45 Prozent. Deshalb steht zu befürchten, daß in einigen Jahrzehnten weit mehr als ein Viertel der Menschen in eine Hightech-Gesellschaft mit ihren hohen Qualifikationsanforderungen nicht paßt.“(19)
Demgegenüber ist aber auch zu berücksichtigen, dass im Oktober 2009 nur in einem Drittel der 3,565 Mio. Bedarfsgemeinschaften mit ALG-II-Bezug Kinder unter 18 Jahren lebten. „Differenziert man nach der Kinderzahl, so haben gut 40 Prozent der (Ehe-)Paare und gut 60 Prozent der Alleinerziehenden lediglich ein einziges Kind zu versorgen. Drei oder mehr Kinder wurden hingegen nur in 127.000 Paarhaushalten und in 68.000 Bedarfsgemeinschaften von Alleinerziehenden gezählt. Rechnet man diese kinderreichen Haushalte zusammen, so entfiel auf sie lediglich ein Anteil von 5,5 Prozent aller Hartz-IV-Haushalte“ (Adamy 2010, S. 174).
4) Auffällig ist, dass bei sämtlichen vorherig zitierten Angaben keinerlei Differenzierung zwischen einheimischen und zugewanderten ALG-II Beziehern und Bedarfsgemeinschaften vorgenommen wird. Dabei ist zu betonen, dass die herkömmliche Unterscheidung zwischen Einheimischen und Ausländern durch das seit 2000 geltende neue Staatsangehörigkeitsrecht nicht mehr greift. Denn: In der Bevölkerungsstatistik werden Kinder mit zwei oder mehreren Staatsangehörigkeiten - auch bei Vorliegen einer ja durchaus verbreiteten orthodox-islamischen Sozialisation mit arabischer oder türkischer Haushaltssprache - als Deutsche ausgewiesen, wenn eine der Staatsangehörigkeiten die deutsche ist. „Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ging durch die Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes die Zahl der neugeborenen ausländischen Kinder in der Bevölkerungsstatistik im Übergang von 1999 auf 2000 um ca. 50% zurück.“(20) Damit wurde die statistische Erfassung des Migrationshintergrundes oder gar des sozialisationswirksamen religiös-weltschanschaulichen Hintergrundes von Sozialtransferbeziehern zunehmend diffus und uneinheitlich bzw. bleibt gänzlich ausgeblendet.
Diesen erfassungstechnischen Problemhintergrund explizit reflektierend, weist die Statistik der Bundesagentur für Arbeit vom Dezember 2007 die SGB II-Quoten nach Alter und Staatsangehörigkeit u. a. wie folgt aus:
Betroffene im Alter von 6-10 Jahren insgesamt: 15,3%. Davon Deutsche 14%. Ausländer 27,7%. 10-15 Jahre: Ingesamt 13,2%. Deutsche 11,5%. Ausländer 28,1%. 15-18 Jahre: Insgesamt 11,8%. Deutsche:10,2%. Ausländer 26,3%.
Daraus ergibt sich, dass eine Konzentration von Kindern in ALG II-Bedarfsgemeinschaften primär bei „ausländischen“ Familien vorzufinden ist, auch wenn diese aus statistischen Gründen eher unzureichend bzw. zu niedrig erfasst werden und ohne dass eine nähere Aufschlüsselung nach Herkunftsländern und sozikulturellen Hintergründen erfolgt.

Die zentrale These Sarrazins, dass sich die „soziale Unterschicht“ bzw. die Gesamtheit von ALG II-Beziehern annährend gleichförmig dem Arbeitsmarkt bewusst entziehe und stattdessen Kinder aus einkommensstrategischen Gründen in die Welt setze, um so den Sozialtransferbezug gezielt zu erhöhen, ist in Anbetracht der dargelegten Sachverhalte in dieser pauschalen Form unhaltbar. Zutreffend ist vielmehr, dass eine bildungsferne Teilgruppe von Zuwanderern mit einem vormodern-religiös und patriarchalisch geprägten (desintegrativen) Bewusstseins-, Verhaltens- und Sozialisationsprofil eine relativ höhere Reproduktionsrate aufweist, ohne dass dieser Sachverhalt in der amtlichen („politisch-korrekt“ verzerrten und damit ideologisch verwalteten) Statistik adäquat widergespiegelt würde. Fest stehen allerdings folgende Gegebenheiten:

A. Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund zeichnet sich - bei aller Binnenheterogenität - im Vergleich zur einheimischen deutschen Bevölkerungsmehrheit sowohl durch eine deutlich höhere Anzahl von Familien mit Kindern und zum anderen durch kinderreichere Familien aus(21). Betrachtet man die Gruppe der türkischen Einwanderer (ca. 2,8 Millionen Menschen), so zeigt sich, dass dieser Bevölkerungsanteil gemeinsam mit Zuwanderern aus dem Nahen Osten der jüngste ist. „Die Hälfte von ihnen ist jünger als 27 Jahre, 28 Prozent sind sogar jünger als 15. Bei den Einheimischen beträgt dieser Anteil nur zwölf Prozent“ (Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung 2009, S. 19). Aufgrund der in türkischen Migrantenfamilien deutlich höheren Kinderzahl „haben heute schon sieben Prozent der unter 15-Jährigen in Deutschland einen türkischen Migrationshintergrund - doppelt so viele wie in der Gesamtbevölkerung“ (ebenda). Aufgrund der religiös-traditionalistischen Normorientierung stellen außer der türkischen in keiner anderen Einwanderergruppe Familien mit Kindern eine so häufige Form des Zusammenlebens dar, wobei insbesondere der Anteil von Großfamilien mit vier oder mehr Kindern erheblich höher ist als bei Einheimischen(22).

B. Unabhängig vom Konjunkturverlauf und der Gesamtmenge der registrierten Arbeitslosigkeit ist der Anteil von arbeitslosen Zugewanderten - über einen längeren Zeitraum beobachtet - konstant doppelt so hoch wie der Anteil von Einheimischen ohne Migrationshintergrund. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren so auch 2007 Menschen mit Migrationshintergrund im Alter von 25 bis 65 Jahren mit 14 Prozent nahezu doppelt so häufig erwerbslos wie jene ohne. Auch gingen 12,6 Prozent ausschließlich einer geringfügigen Beschäftigung nach gegenüber 8,4 Prozent aller Erwerbstätigen. Vor allem waren davon Menschen ohne einen deutschen Pass mit einer Erwerbslosenquote von 16 Prozent betroffen. Betrachtet man die Entwicklung der Arbeitslosigkeit bei Zuwanderern im Zeitvergleich, dann stieg die Arbeitslosenquote bei Migranten ohne deutsche Staatsbürgerschaft zwischen 1986 und 2006 von 13,7 auf 23,6 um über 70 Prozent. Im Vergleich hierzu erhöhte sich die Arbeitslosenquote der Deutschen - inklusive der Migranten mit deutscher Staatsbürgerschaft - von 8,6 auf 11 um 28 Prozent. Zu beachten ist auch: Von den 2,9 Millionen einkommensschwachen Migranten, die zwischen 1996 und 2006 hinzukamen, waren rund zwei Drittel Paare mit Kindern. Diese Kinder stellten 82 Prozent der seit 1996 hinzugekommenen Kinder in einkommensschwachen Haushalten (vgl. Miegel u. a. 2008). Lag die Erwerbstätigenquote bei den Einheimischen/Deutschen 2006 um ca. 5%-Punkte über der des Jahres 1982, so war sie bei den Ausländern insgesamt und bei den Türken um 12 bzw. 15%-Punkte zurückgegangen. „Nur 45% aller Türken im erwerbsfähigen Alter sind derzeit abhängig oder selbständig erwerbstätig“ (Hönekopp 2007, S.160).

Es ist also nicht die „Unterschicht an sich“ bzw. die Hartz-IV-Bevölkerung, die eine hohe Nachkommenschaft aufweist und dementsprechende Sozialtransfereinkommen erzielt, sondern - trotz unzureichender statistischer Datenlage - eine deutlich identifizierbare Teilgruppe in Gestalt vornehmlich bildungsferner, traditionalistisch-islamisch geprägter und sozialisierender Einwanderer.

3. Zur Kritik von Sarrazins erbbiologischer Rechtsfertigungsideologie sozialer Ungleichheit

Vor dem Hintergrund der fehlenden wissenschaftlichen Zusammensetzungs- und Betroffenheitsanalyse der Gesamtheit der ALG-II-Bezieher liest sich Sarrazins Position weitestgehend wie die einfache Negation des „Opfer-Diskurses“. D. h: Sarrazin verfällt gegenüber den „Armutsskandalisierern“ ins Gegenextrem, indem er Transferabhängigkeit pauschal immer als selbstverschuldet ansieht und damit die oftmals sehr anarchische Zufallsabhängigkeit der Verteilung von Lebenserfolg und Misserfolg unter den Bedingungen einer chaotisch-undurchsichtigen und neoliberal deregulierten spätkapitalistischen Risiko- und Konkurrenzgesellschaft ausblendet. Letzteres gilt vor allem für einen Großteil Teil der ALG-II-Empfänger, der nicht in das Sozialtransfersystem eingewandert ist und über einfache, mittlere und höhere Bildungsabschlüsse verfügt. Auch verkommt seine implizite Verklärung der im Nachhinein „Tüchtigen“ und „Erfolgreichen“ zu einer ebenso einfältigen wie reaktionären Apologetik, wenn er das ganze Ensemble des leistungsunabhängig erzielten oder aufgrund mysteriöser bis krimineller (korrupter) Machenschaften erworbenen Reichtums ausspart und suggeriert, jeder sei unter allen Umständen seines Glückes Schmied bzw. die soziale Hierarchie spiegele annährend kongruent die natürliche Ungleichheit der erbbiologisch bedingten Begabungspotentiale. Oftmals sind aber der Erwerb und die Sicherung von Vorteilspositionen und Privilegien nicht etwa Ausdruck von höherer Intelligenz und damit korrespondierender moralischer Überlegenheit, sondern das Resultat von größerer Brutalität, Skrupellosigkeit, Hinterhältigkeit, Protegierung oder Speichelleckerei gegenüber den Herrschenden und Mächtigen oder aber einfach das Resultat von Zufällen. Andererseits sind auch länger andauernde Arbeitslosigkeit und ein dadurch bedingter Sozialtransferbezug in einer Vielzahl von Fällen nicht das Resultat von Begabungsmängeln oder fehlender Arbeitsmotivation, sondern schlicht das Ergebnis widriger Konstellationen im Verhältnis von sich verändernden arbeitsmarktbezogenen Nachfragestrukturen und personellen Eigenschaftsprofilen. So kann es kommen, dass Menschen trotz gleichwertiger oder gar höherer Intelligenz im Dschungel eines normativ diffusen und oftmals chancenungleichen Kampfes um knappe Güter und Positionen unterliegen oder schlicht „weggemobt“ werden, obwohl sie „besser“ sind. Gerade auch aus deren Reihen speist sich der progressiv-dynamische Teil der gesellschaftlichen Entwicklung und von dessen Durchsetzungskraft wird es letztendlich abhängen, ob der sich abzeichnende und von den herrschenden „Globalisierungseliten“ induzierte und verwaltete Niedergang der menschlichen Zivilisation noch abgewendet werden kann(23).

Letztendlich verdinglicht und naturalisiert Sarrazin die atomistisch-konkurrenzkapitalistische Lebensform und negiert die erstrebenswerte Möglichkeit einer gesellschaftlichen Höherentwicklung, in deren Rahmen der Erfolg des Anderen auch mir zugute kommt (und umgekehrt), weil wir durch gemeinsam Ziele verbunden sind. Im Grunde lassen sich drei Modelle unterscheiden:

1) Das auch von Sarrazin verfochtene „rechte“ (nietzscheanische) Modell der „natürlichen“ bzw. erbbiologisch legitimierten Zuchtwahl/Herrschaft der angeblich Tüchtigen, in Wahrheit Skrupellosen und Korrupten (Die aktuelle postdemokratisch verwaltete „Leistungsdiktatur“ der Steuerhinterzieher und -flüchtlinge, Boni-Banker, inkompetenten politischen Problemlösungssimulanten etc.)

2) Das pseudolinke (in Wahrheit: „lumpenproletarische“) Modell der undifferenzierten Umverteilung zu Lasten und auf Kosten der produktiven/steuerzahlenden Klassen, also jener Kräfte, welche die ganze „Party“ finanzieren(24). Und

3) das herrschaftskritisch-emanzipatorische Modell der freien und chancengleichen Selbstvergesellschaftung und Leistungsgerechtigkeit, in dessen Rahmen es sowohl den reaktionären Jetset-Parasiten „oben“ als auch den notorischen Leistungsverweigerern „unten“ „an den Kragen geht“(25).

„Die Gaben der Natur - Schönheit, Intelligenz, Gesundheit - sind ungleich verteilt“. Aufgrund dieser ontologischen Prämisse verwirft Sarrazin das Prinzip der Chancengleichheit und suggeriert, die gesellschaftliche Positionierung des Einzelnen sei nichts weiter als ein angeborenes (genetisches) Schicksal. Auch dann, wenn unter idealistisch unterstellten fairen Wettbewerbsbedingungen Chancengleichheit aufgrund von interindividuellen Unterschieden zu ungleichen Resultaten führt, muss das nicht „gesetzmäßig“ zu einer antagonistischen Spreizung von Lebensmöglichkeiten führen, nach der die Einen, darunter eine erkleckliche Zahl von „unverdient“ in privilegierte Lagen Gelangten, in Saus und Braus leben und Andere, trotz gezeigter Leistungsbereitschaft, am Existenzminimum darben. Entscheidend ist letztlich - auch im Hinblick auf die Definition und soziale Selektion von „Intelligenz“ - das machtpolitisch durchgesetzte gesellschaftliche Bewertungssystem von individuellen Fähigkeiten, Kompetenzprofilen, Handlungsweisen, Charaktereigenschaften, „Verdiensten“ etc. Schon in dem Moment, wo die Verfechter des Modells 3 die Herrschenden des Modells 1 absetzten, bekäme der Begriff „Neid“, nunmehr mit den „frisch“ Entprivilegierten als hegendem Subjekt, unversehens eine konterrevolutionäre Färbung sowie generell die gesamte Legitimationsarchitektur der Gesellschaft eine gänzlich neue Gestalt.

Konstitutiv für Sarrazins Grundposition ist die sozialdarwinistische Behauptung, (a) dass die angeblich konsistente Ausstattung der „oberen (Bildungs-)Schichten“ mit höherwertigen Genen bzw. angeborener höherwertiger Intelligenz gewissermaßen deren „natürliches“ bzw. „biologisches“ Eigentum“ sei, das wiederum (b) - klasseninternes Heirats- und Zeugungsverhalten vorausgesetzt - linear-mechanisch an die nächste Generation weitergegeben würde. (Biologische Reproduktion der „Herrenrasse“.) Umgekehrt sieht er in direktem Anschluss an den rassistischen Eugeniker Francis Galton(26) das soziale Lebensschicksal der unteren Klassen und Schichten ebenso erbbiologisch vorgegeben bzw. genetisch determiniert: Für einen großen Teil der Kinder, die in der Unterschicht angeblich aufgrund des modernen Sozialstaates und seiner Transferleistungen geboren werden, „ist der Misserfolg mit ihrer Geburt bereits besiegelt: Sie erben (1) gemäß den Mendelschen Gesetzen die intellektuelle Ausstattung ihrer Eltern und werden(2) durch deren Bildungsferne und generelle Grunddisposition benachteiligt“ (S. 175). Auch Sarrazins biopolitischer Vorschlag, die Geburtenrate der höheren Bildungsschichten u. a. durch gruppenspezifische Gebärprämien zu erhöhen, liegt ganz auf der Linie Galtons: „Die Möglichkeit der rassischen Verbesserung einer Nation hängt von deren Fähigkeit ab, die Produktivität des besten Erbgutes zu erhöhen. Dies ist weitaus wichtiger als die Unterdrückung der Produktion der Schlechtesten.“(27)

Gegenüber Sarrazins ahistorisch verdinglichtem Intelligenzbegriff(28) sowie seiner starren Zuordnung von ‚Intelligenz’ bzw. ‚Intelligenzmangel’ auf bestimmte soziale Gruppen sind nun folgende grundlegenden Einwände zu erheben:
1) Je vielfältiger und komplexer die gegenständlich vermittelte menschlich-gesellschaftliche Lebenstätigkeit im Laufe der historischen Erfahrungs- und Wissensanhäufung geworden ist, desto umfassender und vielschichtiger sind die geistigen und praktischen Umweltbezüge und desto differenzierter und diversifizierter sind auch die anwendbaren Begabungspotentiale. Diese interindividuell differierenden Potentiale lassen sich zum einen nicht auf funktionalistisch-kognitivistische Aspekte reduzieren, wie sie in den herkömmlichen Intelligenztests erfasst werden, sondern beinhalten zahlreiche weitere Dimensionen bzw. psychische Regulierungsaspekte wie Willensstärke, emotionale Intelligenz, Empathie etc. und Leistungsbereiche wie motorische „Intelligenz“, musikalische „Intelligenz“, künstlerisch-gestalterische „Intelligenz“ etc. Zum anderen ist zu beachten, dass bedeutsame kognitive Leistungsaspekte wie die Fähigkeit zu divergentem Denken und Hinterfragen sowie zur kritisch-analytischen und strategischen Orientierung in „offenen“ (im Unterschied zu geschlossenen, künstlich-untersuchungstechnisch vorgegebenen Problemen) Problemsituationen in herkömmlichen Untersuchungen gar nicht erfasst werden(29).

2) Die unterstellte lineare genetische Übertragung von individueller „Intelligenz“ auf die Nachkommen widerspricht den Einflussgrößen der Variabilität und des Zufalls als Konstitutionsfaktoren der Evolution und erweist sich somit als pseudowissenschaftlicher Mythos. In diesem Sinne urteilt auch Elisabeth Stern, eine der vorgeblichen Gewährspersonen von Sarrazin: „So manches Akademikerkind bleibt in den Schulleistungen hinter den Erwartungen zurück und nicht selten zeigen Intelligenztests, dass das Kind nicht das Potential der Eltern hat. Das mag zwar enttäuschend für die Eltern sein, aber die Vererbung von Intelligenz ist eine sehr komplexe Angelegenheit, wo etliche Zufälle bei der Bildung von Eizellen und Spermien sowie bei der Befruchtung eine Rolle spielen. (…)
Wenn die Eltern dabei das große Los gezogen haben, ist es nicht wahrscheinlich, dass das in der nächsten Generation noch einmal passiert. Umgekehrt können auch weniger intelligente Eltern Erbsubstanz in sich tragen, die ihrem Nachwuchs in einer gerechten Gesellschaft zu ungeahnten Höhenflügen verhilft.“ Und weiter: „Eltern und Kinder zeigen nur eine mittelhohe Übereinstimmung im Intelligenzquotienten. Unterdurchschnittlich intelligente Eltern können überdurchschnittlich intelligente Kinder haben und umgekehrt. Das Ungleichgewicht in der Fortpflanzung müsste noch über viele Generationen gehen, bevor der IQ merklich absinkt. Die größte Gefahr für eine gesellschaftliche Verdummung besteht darin, dass soziale Herkunft für Schul- und Berufserfolg wichtiger ist als Intelligenz und Begabung.“(30)

4. Erscheinungsformen und Ursachen des Bildungsrückgangs in Deutschland.

Sarrazins Fehleinschätzung bezüglich eines Großteils der ALG-II-Empfänger sowie sein absolut unhaltbarer und kontraproduktiver Vererbungsdiskurs veranlassen Viele dazu, auch seine Thesen zur Migrations-Integrations-Problematik zu verwerfen. Andere wiederum sehen aufgrund ihrer Übereinstimmung mit seinen integrationspolitischen und islamkritischen Thesen über seine reaktionäre „sozialrassistische“ Vererbungslehre hinweg. Manche aber, wie zum Beispiel die NPD, sehen gerade in der Verbindung von „Vererbungslehre“, Eugenik und Kritik an Zuwanderern eine ideologische Rechtfertigung für ihre (neo-)faschistische Einstellung.

Aus der Perspektive einer kritisch-wissenschaftlichen Position, die nicht an destruktivem ideologischem Gezänk, sondern an umfassender und tabufreier (schonungsloser) Aufdeckung realer Sacherhalte interessiert ist, gilt es auch in Bezug auf den Sarrazinschen ‚Gesamtdiskurs’ das „Wahre“ vom Falschen zu trennen und nicht in den Fehler der pauschalen bzw. einfachen Negation zu verfallen(31).

Tatsächlich führt Sarrazin zahlreiche stichhaltige Fakten hinsichtlich des Bildungsverfalls und der Desintegration insbesondere islamisch geprägter Zuwanderer an, die freilich nicht neu sind und vor ihm bereits von anderen Autorinnen und Autoren dargelegt wurden, die in ihrer Argumentation gänzlich ohne Vererbungsbiologismus und Eugenik auskamen. Dass ausgerechnet Sarrazins Buch in den Medien so hochgepusht wurde, hat insbesondere auch mit dieser spezifischen Verknüpfung von Islamkritik, Biologismus und Eugenik zu tun. Mit immer wieder abrufbarem Verweis darauf lässt es sich nämlich noch besser diffamieren und es können leichter ideologische Abwehrsysteme zwecks Realitätsverzerrung und Absicherung der eigenen apologetischen Position in Stellung gebracht werden.

Zu konstatieren ist jedenfalls, dass sich in Deutschland und vermutlich auch in anderen vergleichbaren westlichen Ländern ein zentraler Widerspruch zwischen zwei grundlegenden Prozessen herausgebildet hat, nämlich zwischen
a) wachsenden beruflichen Qualifikationsanforderungen infolge der „mikroelektronischen Revolution“ und der dadurch bedingten deutlich angestiegenen Tätigkeit mit Symbolen sowie dadurch vermittelten neuen Kommunikationsformen und
b) einem elementaren Bildungsrückgang infolge der gestörten Tradierung/Vermittlung kultureller Grundfertigkeiten.
Plakativ ließe sich somit feststellen: Die Bevölkerung in Deutschland schrumpft nicht nur und wird immer älter, sondern sie wird auch immer dümmer (und - aufgrund der Massenzuwanderung bildungsferner und prämodern-religiös sozialisierter/sozialisierender Zuwanderer - auch immer reaktionärer).

Im Unterschied zu Sarrazins klassen- und schichtenspezifischem Vererbungsbiologismus ist allerdings festzustellen, dass dieser Rückgang zum einen auf nichtgenetische Verursachungszusammenhänge zurückzuführen ist und zum anderen sozial übergreifend wirkt:
„Kein Zweifel: Die Gesellschaft des digitalen Zeitalters rückt von der Buchkultur ab - und dieser Trend ist unwiderruflich auch bei den sozial Privilegierten angekommen. Die Zahl der jährlich gelesenen Bücher in Deutschland sinkt ebenso wie die Zahl der Bücher pro Haushalt. Bildungsferne Mittelschichten entstehen, in denen trotz guter materieller Verhältnisse kein Wert mehr auf klassische Bildungsinhalte oder genussvolles Lesen gelegt wird. Möglich, dass ein Teil der Eltern hofft, Kulturtechniken würden in einer Art genetischen Vererbung auf ihren Nachwuchs übergehen. Aber die Herkunft allein, das große Haus oder der Sportwagen helfen beim Lesenlernen gar nichts“(32).
Tatsächlich lassen sich die Fakten der Bildungsregression längst auf der gesellschaftlichen Erscheinungsoberfläche ablesen. Eine kleine Auswahl verdeutlicht diesen Sachverhalt:
* Aktuell gibt es in Deutschland ca. vier Millionen Analphabeten.
* Heute weist etwa jedes vierte bis fünfte Kind im Alter von vier Jahren eine Sprachentwicklungsverzögerung auf. Bei Kindern mit ausländischer Muttersprache waren es nach einer 2004 in Hessen durchgeführten Studie sogar 51 Prozent. Ende der 1970er Jahre waren es erst 4 Prozent.
* Laut Stiftung Lesen liest ein Viertel aller erwachsenen Deutschen überhaupt keine Bücher mehr. Eine Studie der Stiftung stellte zudem bereits 2001 fest, „dass sich die Zahl der Mütter und Väter, die ihre Kinder systematisch für Bücher zu begeistern versuchen, innerhalb von zehn Jahren von 50 auf 25 Prozent halbiert hatte. Da ist es nur folgerichtig, dass die Hälfte der Sechs- bis Dreizehnjährigen in diesem Land zu Protokoll gibt, nie’, ‚gar nicht gern’ oder ‚nicht so gern’ zu lesen.“(33)
* 54 Prozent der über 15.000 antwortenden Unternehmen gaben im Rahmen einer Untersuchung der Deutschen Industrie und Handelkammer 2010 an, aufgrund von gravierenden Defiziten der Auszubildenden eine betriebsinterne Nachhilfe durchzuführen. Dabei betreffen die Defizite nicht nur Mängel in den Elementarbereichen Lesen, Rechtschreibung und Rechnen, sondern auch in den sog. Schlüsselqualifikationen wie Disziplin, Teamfähigkeit und Pünktlichkeit.
* Wie eine Langzeitstudie der BASF (2009) über Rechtschreib- und elementare Rechenkenntnisse bei Ausbildungsplatzbewerbern feststellt, betrug der durchschnittliche Anteil richtiger Lösungen im Bereich Rechtschreibung im Jahr 1975 bei Hauptschülern 51% und 2009 38,7%. Bei Realschülern lag der Anteil bei 75,2% und 2009 bei 58,2%. Beim elementaren Rechnen lag der durchschnittliche Anteil richtiger Lösungen 1975 bei Hauptschülern bei 72,5% und 2009 bei 45,5%. Bei Realschülern betrug er 1975 75,8% und 2009 56,3%.
* 2001 war laut einer Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft unter 1.435 Hochschullehrern ein Drittel der Studienanfänger nach dem Dafürhalten der Dozenten nicht studierfähig. Den Neustudenten wurden insbesondere ein Mangel an Denkvermögen und eine schlechte Beherrschung der Muttersprache angelastet, während man ihnen ein besseres Zurechtkommen mit Computer und Internet bescheinigte. Die befragten Hochschullehrer beklagten, dass die Schule den Studienanfängern nicht das nötige Rüstzeug vermittelt hätte, insbesondere hinsichtlich analytischem Können, Abstraktionsvermögen, Kreativität und Sprachvermögen. Das Zeug zu einem guten Studenten wurde dem Bericht zufolge nur 24,5% der Neulinge zugeschrieben, mittelmäßige Fähigkeiten 41 Prozent.(34)
* Bei einem Grammatiktest unter Anfängern des Germanistikstudiums in Bayern (Lehramt für Realschule und Gymnasium), der an allen Landesuniversitäten Anfang des Wintersemesters 2006/2007 durchgeführt wurde, ergab sich, dass mehr als zwei Drittel der Getesteten nicht den Kenntnisstand von Fünft- und Sechsklässlern erreichten. (35)

Worin liegen nun die hauptsächlichen Ursachen für diese Bildungs- und darüber hinausgehend soziokulturelle Regression? In hier gebotener Kürze sind folgende Kausalfaktoren wenigstens knapp zu benennen:

1) Der Zerfall der fordistischen „Normalfamilie“ als vergleichsweise relativ „heile“ Agentur der Primärsozialisation infolge der Deregulierung von Beschäftigungsverhältnissen, der wachsenden Arbeitsmarktkonkurrenz, der Zunahme von prekären Arbeitsverhältnissen, der Verteuerung der Lebenshaltungskosten und der daraus resultierenden deutlichen Zunahme von Doppelverdienerhaushalten etc. Daraus ergab sich ein neuartiger Anforderungsdruck bezüglich der gemeinsamen Bewältigung des familialen Alltagslebens. So wird z. B. angesichts der divergierenden institutionellen Zeitregime, denen die Familienmitglieder ausgesetzt sind, die Integration der einzelnen Lebensführungen zu einer gemeinsamen Lebensführung zu einer anspruchsvollen und spannungsgeladenen Aufgabe. Eltern und Kinder begegnen sich immer seltener, ihre Kommunikation bzw. erzieherisch relevante Kontaktdichte wird ausgedünnt, die sprachvermittelte Eltern-Kind-Koordination erodiert.
Infolgedessen hat sich vielfach auch das „entspannte Feld“ der zwar elterlich/zumeist mütterlich kontrollierten, aber dennoch relativ autonomen und individuell gestalteten außerschulischen Freizeit aufgelöst, in der „unfunktionales“ Lesen und Spielen ohne Computer noch Spaß machte und Spielkameradschaften und Freundschaften noch jenseits vom „Taxi Mama“ selbst hergestellt wurden. An die Stelle selbsterkundender und übender Identitätsentwicklung tritt in Ermangelung heimischer Aufsichtspersonen fortan das nivellierende Panoptikum des Horts und der Ganztagsschule mit einem oftmals überforderten Betreuungspersonal.

2) Die wachsende Durchdringungs- und Prägungsmacht der technologisch runderneuerten spätkapitalistischen Werbe-, Freizeit- und Medienindustrie mit dem Effekt, dass Fernseher, Computerspiele, Handyverfügbarkeit, SMS und Chat-Room in Kombination mit den so auf neue Weise ermächtigten Peers zu „eigentlichen“ Sozialisationsinstanzen avancieren. Schon im Jahr 2000 hatte bei der Altergruppe zwischen 14 und 29 Jahren der PC den Büchern den Rang abgelaufen. Fünf Jahre zuvor hatte es unter den Jugendlichen noch doppelt so viele Buchleser wie PC-Benutzer gegeben. Längst sind Kinder und Jugendliche als relevante Zielgruppe der Programm-Macher und Werbefachleute „entdeckt“ worden. Nach einer Grundlagenstudie von ARD und ZDF aus dem Jahr 2004 hatte sich zu diesem Zeitpunkt der Anteil der Kinder, die über ein eigenes Fernsehgerät verfügten, mit 39 Prozent seit 1990 mehr als verdoppelt. Generell gilt, dass die Massenmedien längst zum zentralen Multiplikator und „Vernetzer“ ästhetischer Muster der szenetypischen Selbstinszenierung und Lebensgestaltung geworden sind und damit die Ausbildung von Jugendkulturen entscheidend bestimmen. Auf der anderen Seite hat sich in den Medien und Schulbuchverlagen eine neue Spezies von Berufsvulgarisierern und Profivereinfachern herausgebildet, die den allgemeinen Bildungsrückgang massenpädagogisch dolmetscht.

3) Das Anwachsen einer Schicht desintegrierter Zuwanderer mit einem prämodernen orthodox-islamischen Sozialisationshintergrund und einem starken Anomiepotenzial.
So „hatte sich innerhalb von 15 Jahren - vom Schuljahr 1965/66 bis zum Schuljahr 1980/81 - die Gesamtzahl der ausländischen Schüler verzwanzigfacht: von 35.000 auf 637.000. Insgesamt sind 53 Prozent der ca. 2,5 Millionen türkischstämmigen Einwohner über den Familiennachzug nach Deutschland gekommen. (…) Da in der Türkei von 1955 bis 1975 die Bevölkerungszahl von 24 auf 40 Millionen Menschen gestiegen war - was einem Wachstum von 2,4% jährlich entsprach - hatte (und hat) der türkische Staat ein großes Eigeninteresse an der Auslagerung eines Teils seiner Überbevölkerung. Damit profitierte er zum einen unmittelbar durch die Entlastung des eigenen Arbeitsmarktes und zum anderen zusätzlich durch Deviseneinnahmen sowie durch Gratismodernisierung in Form reimportierter Qualifikationen“ (Krauss 2008, S. 348f.).

Die negative Synergie dieser Faktoren wirkt sich im Schulsystem in Form des Sinkens der Nettolernrate pro Unterrichtszeit (Stunde, Schuljahr, Gesamtschulzeit) aus: Je geringer die durchschnittlichen sprachlichen Voraussetzungen und je höher die mitgebrachten Aufmerksamkeits- und Verhaltensdefizite, desto bescheidener das Lernergebnis gemessen an Umfang und Aneignungstiefe des behandelten Lernstoffs(36). Das bedeutet auch: In dem Maße, wie der Gesamtdurchschnitt des Bildungsniveaus sinkt, sind auch die Noten und Zertifikate zunehmend weniger aussagekräftig im Hinblick auf den wahren Leistungshintergrund. Generell ist davon auszugehen, dass die Schulen oftmals schlicht überfordert sind, die bereits schon zum Zeitpunkt des Schuleintritts vorhandenen (primärsozialisatorisch bewirkten) Entwicklungsprobleme der Kinder in ausreichendem Maße zu kompensieren. Zwar lassen sich noch mit großem Förderaufwand verbundene leichte Verbesserungen im unteren Leistungsbereich erzielen, aber insgesamt ist eine stagnative Verfestigung des auch im internationalen Vergleich relativ dürftigen Leistungsniveaus festzustellen(37).

5. Orthodox-islamische Sozialisation als Kernaspekt des Migrations-Integrations-Problems

Sarrazins Zustimmungserfolg basiert hauptsächlich auf der Thematisierung des dritten Ursachenfaktors für den Bildungsrückgang in Deutschland, nämlich der Masseneinwanderung von Menschen mit einem orthodox-islamischen Sozialisationsprofil. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass diese Thematisierung vor dem Hintergrund einer weitgehenden politisch-medialen Vernebelung und verzerrenden „Beschwichtigung“ dieses relevanten Problemaspekts erfolgt.

Im Wesentlichen ist das, was Sarrazin zu diesem zentralen Problemgebiet ausführt, nicht neu, aber überwiegend zutreffend(38). Das gilt insbesondere auch für folgende grundlegende Einschätzung: „Weit ausgeprägter noch als andere Migrantengruppen haben Muslime in Deutschland eine unterdurchschnittliche Beteiligung am Arbeitsmarkt, unterdurchschnittliche Erfolge im Bildungswesen und eine überdurchschnittliche Quote von Transferleistungsempfängern sowie eine überdurchschnittliche Beteiligung an der Gewaltkriminalität“ (S. 262).

„Während bei den Deutschen und den Zuwanderern aus den EU-Staaten weit über 60% einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen, sind dies bei den Zuwanderern aus der Türkei nur rund 45%“ (Reißlandt 2005, S. 5). „Die Erwerbstätigenquote liegt für die Deutschen im Jahre 2006 immerhin um ca. 5 %-Punkte über der des Jahres 1982. Bei den Ausländern insgesamt und bei den Türken ist sie jedoch um dramatische 12 bzw. 15 %-Punkte zurückgegangen. Nur 45% aller Türken im erwerbsfähigen Alter sind derzeit abhängig oder selbständig erwerbstätig“ (Hönekopp 2007, S. 160).
Auffällig ist insbesondere auch die traditionalistisch-religiös bedingte geringe Erwerbsbeteiligung von muslimischen Frauen. Für diese sind letztendlich nicht die Anforderungen von Arbeitgebern, Behörden und Bildungsinstitutionen maßgeblich, sondern die Imperative des Hauspatriarchen.
„Der Vergleich nach Herkunftsländern zeigt, dass die türkischen Staatsangehörigen als größte ausländische Bevölkerungsgruppe mit fast einem Drittel (2003: 31%) auch den höchsten Anteil aller arbeitslosen Nichtdeutschen stellen. Insgesamt sind fast 80% der arbeitslosen Ausländerinnen und Ausländer (2003) Staatsangehörige aus Nicht-EU-Staaten“.(39)
Der 8. Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland (Juni 2010, S. 126) hält fest: „Während nur 15 % der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund im Alter von 20 bis 64 Jahren keinen beruflichen Abschluss haben, gilt dies für 44% der Befragten mit Migrationshintergrund. Am höchsten liegt der Anteil der Unqualifizierten mit 72 % bei den in Deutschland lebenden Menschen türkischer Herkunft, von denen fast jede/r Fünfte (18,2 %) Deutsche/r ist.“

Nach Hönekopp (2007) lässt sich bei mehr als einem Drittel der ALG-II-Bezieher (37,5%) ein Migrationshintergrund im weiteren Sinne feststellen: „Sie sind entweder selbst nicht in Deutschland geboren, oder besitzen keine deutsche Staatsbürgerschaft, oder mindestens ein Elternteil ist nicht in Deutschland geboren. 26% aller Hilfebezieher sind nicht in Deutschland geboren, 16% haben keine deutsche Staatsbürgerschaft, rund 12% lassen sich der in Deutschland geborenen „zweiten Einwanderergeneration“ zuordnen: Sie sind selbst in Deutschland geboren, teilweise deutsche Staatsbürger, jedoch ist mindestens ein Elternteil im Ausland geboren.“(40)
„Die Hälfte aller Personen mit Migrationshintergrund verfügt nach den offiziellen Statistiken über keine berufliche Ausbildung, unter den 25- bis 34-Jährigen sind es immer noch 40,7 Prozent; bei den Türken sind es in dieser Altergruppe sogar 57 Prozent. (…) Drei Viertel aller türkischen Leistungsbezieher ab 25 Jahren haben keinen Berufsabschluss.“(41)
In Anlehnung an den Mikrozensus 2007 führt Sarrazin an, dass nur 33,9 Prozent der muslimischen Migranten in Deutschland ihren überwiegenden Lebensunterhalt aus Berufs- und Erwerbstätigkeit beziehen. Bei der einheimischen Bevölkerung liegt der Anteil bei 43 Prozent. „Relativ zur Erwerbsbevölkerung leben bei den muslimischen Migranten viermal so viel Menschen von Arbeitslosengeld und Hartz IV wie bei der deutschen Bevölkerung. Bei den muslimischen Migranten entfallen auf 100 Menschen, die ihren Lebensunterhalt überwiegend aus Erwerbstätigkeit bestreiten, 43,6 Menschen, die überwiegend von Arbeitslosengeld und Hartz IV leben, bei der deutschen Bevölkerung sind es 10,4“(S. 282).
Da die polizeiliche Statistik nur nach Staatsangehörigkeit unterscheidet, kann das reale Maß der Kriminalitätsbelastung von Personen mit Migrationshintergrund bislang nicht hinreichend erfasst werden. Fest steht aber, dass nichtdeutsche Tatverdächtige, gemessen am Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung (etwa 9%), bei nahezu allen Straftaten überproportional vertreten sind. „Im Jahr 2007 betrug der Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen an allen Tatverdächtigen 17%, wenn Verstöße gegen das Aufenthalts- und Asylverfahrensgesetz sowie diejenigen nichtdeutschen Tatverdächtigen unberücksichtigt bleiben, die nicht melderechtlich erfasst sind. Der Anteil der nichtdeutschen 14- bis 17-jährigen Tatverdächtigen an allen 14- bis 17-jährigen Tatverdächtigen betrug 16,6%“ (Naplava 2010, S. 230). Bei Raubdelikten und Körperverletzungen sind die Belastungszahlen nichtdeutscher Jugendlicher 2- bis 4-mal höher als die der deutschen Jugendlichen. Auch ist dokumentiert, „dass die Hälfte der jugendlichen Intensivtäter in Berlin keine deutsche Staatsangehörigkeit hat und 70 % einen Migrationshintergrund aufweisen“ (ebenda, S. 231). Nach Angaben von Kirsten Heisig fallen davon 45 Prozent auf arabische, 34 Prozent auf türkischstämmige Täter und 18 Prozent auf deutschstämmige Personen. Ihrer Darstellung zufolge werden die Opfer von Straßenraubtaten und massiven Körperverletzungsdelikten mittlerweile nicht lediglich beraubt und zusammengeschlagen, sondern zudem als „Scheißdeutscher“, „Schweinefleischfresser“ oder „Scheißchrist“ diskriminiert. „Im April 2008 wurde in meiner Zuständigkeit ein Fall verhandelt, in welchem mehrere türkischstämmige Jugendliche junge Frauen als ‚deutsche Huren’ titulierten und äußerten ‚Deutsche könne man nur vergasen’“(42). In einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) von Ende 2010 wird festgestellt, dass Polizisten überdurchschnittlich oft von Menschen mit Migrationshintergrund angegriffen werden. Rund 40 der Täter haben der Untersuchung zufolge ausländische Wurzeln, in Großstädten sind es 52 Prozent(43).

Die Ursache für das umfassende Desintegrationssyndrom einer großen Zahl orthodox-islamisch sozialisierter Zuwanderer liegt nicht in den Genen, sondern in den Grundprinzipien und Normen der vom orthodoxen Mainstream-Islam geprägten Herrschaftskultur. Hervorstechend ist, dass trotz regionalspezifisch akzidenteller Unterschiede eine hohe dogmatisch-normative Übereinstimmung existiert, so dass auch in dieser Hinsicht sehr wohl von einem übergreifend-allgemeinen „Kernislam“ auszugehen ist(44).

Im Einzelnen sind hier mindestens folgende glaubensdogmatisch bedingte Einstellungs- und Orientierungsmuster zu nennen:

1) Die für die gesamte kognitive und moralische Konstitution des Subjekts folgenreiche Festlegung des Menschen auf die Rolle eines absolut gehorsampflichtigen Gottesdieners. Dieses Grundprinzip korrespondiert untrennbar mit dem Glauben an die Authentizität des Korans als unmittelbar offenbartes Gotteswort. D. h.: Der Koran gilt als unhinterfragbarer und letztlich nicht historisch-kritisch reflektierbarer Text.

2) Der Glaube an das Wahrheitsmonopol der islamischen Weltanschauung, wonach Mohammed als letzter Prophet die endgültige, umfassende, einzig wahre und vollendete Offenbarung von Allah empfangen hat.

3) Die Überzeugung von der göttlich bestimmten Überlegenheit der Umma, der Gemeinschaft der rechtgläubigen Muslime. Die Grundlage hierfür bildet Sure 3, Vers 110 des Korans: „Ihr seid die beste Gemeinde, die für den Menschen erstand. Ihr heißet, was Rechtens ist, und ihr verbietet das Unrechte und glaubet an Allah.“ Daraus leitet sich sowohl ein unwiderrufliches rangabgestuftes Herrschaftsverhältnis gegenüber allen Nichtmuslimen als auch der Aufbau einer internen Kontroll- und Überwachungsgesellschaft nach den repressiven Regeln der Scharia(45) ab.

4) Der islamische Führungs- und Überlegenheitsanspruch impliziert auch ein strikt reglementiertes Heiratsverhalten im Interesse der möglichst „reinen“ Reproduktion der zur Herrschaft berufenen Umma. Da als Muslim gilt, wer von einem muslimischen Vater abstammt, dürfen muslimische Frauen keinen nichtmuslimischen Mann ehelichen. Muslimischen Männern ist es hingegen aufgrund ihrer patriarchalischen Vormachtstellung und Befehlsgewalt erlaubt, Christinnen und Jüdinnen zu heiraten.

5) Untrennbarer Bestandteil der islamischen ‚Herrschaftsreligion’ ist die umfassend reglementierte patriarchalische Ungleichstellung und Herrschaftsbeziehung zwischen den Geschlechtern. Dabei wird die Ehre des Mannes und darüber hinaus der gesamten patriarchalisch bestimmten Familie an die strikte Unterwürfigkeit und Gehorsamkeit der Frau gekettet. Kontrolle und Sanktionierung der Frau gehören damit zum repressiven Wesensprinzip des „Alltagsislam“.

6) De facto kennt der Islam keine Glaubensfreiheit. Nichtanerkennung bzw. Distanzierung vom Islam wird als Abfall vom ‚rechten Glauben’ gewertet und massiv bestraft.

Gegenüber der sich spontan vollziehenden, herrschaftskulturell konformen Sozialisation in den islamischen Herkunftsländern erfolgt unter den Bedingungen der Einwanderung in ein nichtmuslimisches Land vielfach eine gezielte bzw. bewusst intendierte islamische Erziehung gegen die fremde, aber freiwillig als Aufenthaltsort gewählte westlich-moderne Kultur der Aufnahmegesellschaft(46). Das durch die Verinnerlichung islamischer Glaubensinhalte, Normen, Verhaltensregeln etc. vorgeprägte ‚Selbst’ der erziehenden Migranten erhält unter diesen Bedingungen eine spezifische Verstärkung bzw. Radikalisierung einschließlich der Bildung von entsprechenden religiös-ideologischen „Identitätsgruppen“. Damit wirkt der Islam nicht nur normativ-inhaltlich, sondern auch psychologisch - im Sinne der Motivierung eines starken Abgrenzungsbedürfnisses - als Integrationsbarriere. Neben den patriarchalischen Familienverhältnissen fungieren auch Moscheen, Koranschulen und konservative sowie islamistische Verbände als Orte der defensiv-abwehrenden oder aktivistisch-kämpferischen Bewahrung einer religiös-autoritären Identität und regressiven Widerspruchsverarbeitung.

Generell gilt: Je ausgeprägter die inhaltliche Differenz zwischen der Kultur der Aufnahmegesellschaft und der verinnerlichten Kultur der Zuwanderer ist, desto größer sind auch die Integrationsprobleme. Konkret bedeutet das die Kollision zwischen spätkapitalistischer Anforderungslogik (mit ihren vielfältigen Individualisierungstendenzen, Erosion der Normalbiographie, neuen Rollenmustern und risikogesellschaftlichen Entwicklungen) einerseits und vormodern-religiösen Bewusstseins- und Verhaltensprofilen andererseits. Dabei wirkt dieser objektive Widerspruch zwischen traditionalistischer Identität und Anpassungszwang an spätmoderne normative Standards subjektiv als destabilisierender und potentiell pathogener (Stress-)Faktor, der vielfach auf regressive Weise in Form von Kontaktreduzierung mit der überfordernden Lebensumwelt (Selbstabsonderung) bei gleichzeitiger selbstentlastender Abwertung der „schwierigen“ Aufnahmegesellschaft verarbeitet wird. Dabei korrespondiert diese Form der regressiven Widerspruchsverarbeitung mit einer ultrakonservativen/„fundamentalistischen“ Ideologiebildung.

Die Dysfunktionalität islamischer Sozialisation/Erziehung unter den Bedingungen einer nichtmuslimischen, säkularisierten, modern-westlichen Gesellschaft ergibt sich schon grundsätzlich daraus, dass der orthodoxe Islam eine absolutistisch „eingefrorene“ frühmittelalterliche Weltanschauung und Sozialmoral verkörpert, die als Orientierungs- und Sinngebungsgrundlage für ein bewusstes und selbstbestimmtes Leben und Arbeiten unter spätmodernen Gesellschaftsbedingungen gänzlich ungeeignet ist. D. h.: Der orthodoxe, unter den Diasporabedingungen „fundamentalisierte“ Islam erweist sich vor allem auch als untaugliches, weil gegenüber den spätmoderner Gesellschaftsverhältnissen mit ihren spezifischen Anforderungsstrukturen fehlorientierendes bzw. dysfunktional-desintegratives Bedeutungssystem. So geht es religiöser Erziehung im Allgemeinen wie islamischer Subjektzurichtung im Besonderen nicht um ein rationales Verstehen des Mensch-Welt-Zusammenhanges, sondern um die Herstellung eines affektiv positiven und spirituellen Verhältnisses zum Glauben an eine fiktive Instanz. Ist dieses affektive Glaubensverhältnis erst einmal „konkurrenzlos“ befestigt, geht es im zweiten Schritt um die (mehr oder minder explizite) Abwertung der Anders- und Nichtgläubigen bzw. um den Herrschaftsanspruch der „Rechtgläubigen“.
Im Sinne eines absolutistischen Deutungsanspruchs folgerichtig, untersagt der Islam vor diesem Hintergrund kritisches Hinterfragen und eigenwillige Auslegung der koranischen Offenbarung. Die Anzweifelung der uneingeschränkten Autorität des einen Gottes, Allah, gilt als unverzeihliche Kardinalsünde (Koran 4, 116). Damit liefert der Islam auch von dieser Seite die Vergöttlichung einer Gehorsams- und Unterwerfungskultur, in der das Gebet als tägliche Abstimmung des göttlichen Willens mit dem individuellen Willen, beständige Form der Unterwerfung unter die göttlichen Gesetze, fungiert. Indem der Islam darüber hinaus die koranische Offenbarung als „höchstes Wissen“ verabsolutiert und sich selbst als höchste Form der Bildung verklärt, errichtet er tendenziell eine abwertende Barrikade gegenüber weltlich-rationaler Wissensaneignung. Lernen wird demzufolge im orthodoxen Diskurs primär gleichgesetzt mit der Übernahme der islamischen Imperative. Zwar ist es angesichts der muslimischen Unterlegenheitserfahrung gegenüber dem Westen unhintergehbar geworden, dass ausgewählte Gruppen aus der islamischen Oberschicht naturwissenschaftlich-technische und Sprachkenntnisse aus der westlich-modernen Kultur übernehmen. Aber diese selektive Aneignung westlichen Wissens findet im Rahmen einer strikten Ablehnung der geisteswissenschaftlichen, philosophischen und gesellschaftswissenschaftlichen Grundlagen der kulturellen Moderne statt. Wie Meddeb (2002 S. 183f.) mit Blick auf die arabisch-islamischen Länder zutreffend festgestellt hat, erzeugt gerade die Verbindung von naturwissenschaftlich-technischem Spezialistentum mit traditionalistischer Religiosität - bei gleichzeitigem Fehlen geisteswissenschaftlicher Bildung - jene kulturlosen Gebildeten, die das Humane am allermeisten beschädigen. (Gebetsräume an Technischen Universitäten.) Insofern greift der oberflächlich-abstrakte und nicht näher bestimmte Ruf nach „Bildung, Bildung, Bildung“ zu kurz, wenn er diesen grundlegenden Sachverhalt ausblendet(47).

Anstatt sich von seinen sozialdarwinistischen und eugenischen Thesen zu distanzieren, hat Sarrazin aus neueren Auflagen seines Buches paradoxerweise ausgerechnet eine Passage streichen lassen, die auf die durchaus real existierende islamspezifische Transformation von sozialer Normativität in Genetik abzielte. So ist bislang der Tatbestand noch weitgehend mit einem Tabu belegt, dass eine Vielzahl von unfreiwilligen islamischen Ehen unter Blutsverwandten geschlossen wird. So haben fast alle der von Toprak (2007) portraitierten jungen muslimischen Männer weibliche Verwandte/Cousinen geheiratet(48). Zwar liegen bislang noch keine genauen Zahlen vor. Aber es gibt Hinweise auf einen hohen Verbreitungsgrad von Verwandtenehen aus den Herkunftsregionen von Zuwanderern aus dem Nahen Osten und der Türkei. Dort werden, je nach Landstrich, 20 bis 30 Prozent der Ehen innerhalb der Familie arrangiert. „In Deutschland“, so der SPIEGEL (36/2009, S. 52), „deuten Einzeluntersuchungen von genetischen Beratungsstellen und türkischen Kinderärzten auf eine besorgniserregend hohe Zahl von arrangierten Ehen unter Verwandten hin“. Berliner Spezialisten für Pränataldiagnostik stellten bei 500 Verwandtenehen 35 schwere Krankheitsfälle fest. Bei Verwandtenehen über mehre Generationen steige das Risiko, ein behindertes Kind zu bekommen, deutlich an. Wie tief die Tradition von Verwandtenehen auf dem anatolischen Land verbreitet ist, zeigen folgende Sprichwörter: „Gute Mädchen heiraten Verwandte, schlechte Mädchen gibt man Fremden.“ Und: „Mein Sohn ist verloren, wenn er eine Fremde heiratet“.


Ausblick

Sarrazin vertritt keinesfalls - wie in den Medien häufig suggeriert - einen pauschal fremdenfeindlichen Diskurs, in dem Einwanderer generell abgelehnt werden. So akzentuiert er wiederholt die positiven Integrations- und Bildungsleistungen von asiatischen Migranten. Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Ausführungen ist aber seine folgende Feststellung durchaus zutreffend: „Aufgrund des unterschiedlichen kulturellen Hintergrundes nehmen Konflikte, Reibungsverluste und Unzuträglichkeiten mit einem wachsenden Anteil muslimischer Migranten an der Bevölkerung progressiv zu“ (S. 367f.) Auch ist es durchaus nicht abwegig, muslimische Großfamilien im Sozialtransferbezug als Gewinner des deutschen Sozialsystems anzusehen.

Insgesamt aber geht es um folgenden langfristig wirksamen Trend: Während der einheimische (säkular-demokratisch sozialisierte) Bevölkerungsanteil demographisch unwiderruflich schrumpft, ist es durchaus von einschneidend negativer Bedeutung, wenn gleichzeitig der Anteil prämodern-islamisch sozialisierter/sozialisierender, bildungsschwacher und ökonomisch sowie kulturell desintegrierter Zuwanderer wächst.

Allerdings gewichtet Sarrazin hauptsächlich nur die sozialökonomische Kosten-Nutzen-Bilanz der islamischen Einwanderung, ohne gleichermaßen die soziokulturellen und politischen Folgen zu reflektieren. Ich möchte deshalb abschließend nur folgenden zentralen Aspekt aus dieser Problemebene umreißen:

Da die politische Klasse und die vorherrschenden Medien in Deutschland relativ gleichgeschaltet daran arbeiten, die Integrationsproblematik zwar thematisch aufzugreifen, aber gleichzeitig systematisch zu desartikulieren und zu verzerren, um die überwiegend islamkritisch eingestellte Bevölkerungsmehrheit „in Schach zu halten“, ist ein politisch-weltanschaulicher Hegemoniewechsel für eine adäquate Problembewältigung unabdingbar. Während der orthodoxe und islamistisch radikalisierte Islam eindeutig eine ultrareaktionäre, antiemanzipatorische und menschenrechtsfeindliche Formation bildet, gilt paradoxer Weise Kritik an der islamischen Herrschaftskultur in weiten Teilen der „Meinungsindustrie“ als „rechts“(49). Tatsächlich aber wird damit die reale Verteilung von reaktionären Einstellungspotentialen innerhalb der Bevölkerung auf den Kopf gestellt. Denn im Vergleich zu einheimischen Deutschen, die hier nicht etwa als progressive Engel unterstellt werden, zeigt sich das deutlich höhere rechtskonservative Einstellungspotential bei türkischstämmigen Muslimen. So wurde in der „Ersten internationalen Studie zur Wertewelt der Deutschen, Deutsch-Türken und Türken“ zum Beispiel folgendes festgestellt:

„Ein Zusammenleben von Mann und Frau vor der Ehe lehnen 8% der Deutschen, aber 47% der TiD (Türken in Deutschland, H. K.) und 67 % der Türken ab. Beim vorehelichen Sex der Frau sind es 7% der Deutschen, 56% der TiD und 84% der Türken.“ 9% der Deutschen, aber 32% der TiD und 52% der Türken meinen, dass Kindererziehung Frauensache sei. „15% der Deutschen, 57% der TiD und 67% der Türken stimmen der Auffassung zu, dass berufstätige Frauen ihre Kinder vernachlässigen“. „5% der Deutschen, aber 48% der TiD und 68% der Türken sind der Meinung, dass die Eltern bei der Wahl des Ehepartners ein Mitspracherecht haben sollten.“ „Einen Schwangerschaftsabbruch beurteilen 54% der Deutschen, aber 77% der TiD und 92% der Türken als schlimm. Eine homosexuelle Beziehung von Männern lehnen 29% der Deutschen, aber 65% der TiD und 75% der Türken ab.“ „Eine deutsch-türkische Heirat innerhalb der Familie finden nur 14% der Deutschen und 19% der TiD eher unangenehm, aber 33% der Türken. Die religiöse Toleranz findet insgesamt ihr Ende, wenn es um ein mögliches Einheiraten in die eigene Familie geht: 28% der Deutschen fänden es unangenehm, wenn ein gläubiger Moslem in ihre Familie einheiraten würde. Dagegen fänden es 49% der TiD und 63% der Türken unangenehm, einen gläubigen Christen in die Familie aufnehmen zu müssen. Noch schlimmer wäre ein gläubiger Jude (Ablehnung bei 48% der TiD und 72% der Türken), der Gipfel wäre jedoch ein bekennender Atheist (Ablehnung von 69% der TiD und 87% der Türken).“

Dass einheimische Jugendliche signifikant deutlich weniger religiös, autoritär und antisemitisch eingestellt sind als muslimische Jugendliche ist im Übrigen - gerade in der Perspektive der zukunftsbezogenen Rechtsextremismusforschung - als ein sehr wesentliches Datum anzusehen: „Bezogen auf antisemitische Vorurteilsbekundungen äußern junge Muslime mit 15,7% die höchste Zustimmung. Bei den Nichtmuslimen mit Migrationshintergrund liegt diese Quote bei 7,4% und bei den einheimischen Jugendlichen bei 5,4%“ (Bundesministerium des Innern 2007, S. 275)(50). Interessant wäre in diesem Kontext auch ein Vergleich bezüglich der deutschen Erinnerungskultur im Hinblick auf die nazistische Judenvernichtungspolitik einerseits und den türkischen Umgang mit der vorausgehenden Vernichtung der Armenier andererseits.

Hervorzuheben ist auch der Sachverhalt, dass das Personenpotenzial des einheimischen Rechtsextremismus absolut und vor allem proportional zur Bezugsgruppe (einheimische Bevölkerung insgesamt/islamisch geprägte Zuwanderer insgesamt) beträchtlich unter dem Personenpotenzial des zugewanderten islamistischen Rechtsextremismus liegt. So ist das einheimische rechtsextremistische Personenpotenzial 2009 auf rund 26.600 Personen gesunken (2008: 30.000 Personen). Demgegenüber lag das Personenpotenzial des islamistischen Rechtsextremismus 2009 bei 36.270 Personen (2008: 34.720 Personen). „Mit 30.340 Personen (2008: 28.580) bildeten wiederum die Anhänger türkischer Gruppierungen das größte Potenzial. Mitgliederstärkste Gruppierung blieb die türkische Organisation IGMG mit 29.900 (2008: 27.500) Mitgliedern“ (Verfassungsschutzbericht 2009, S. 215). Im Vergleich dazu haben NPD und DVU zusammen „nur“ 11.300 Mitglieder.(51)

Wie das Wiener Institut für Jugendkulturforschung bei der Befragung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund herausfand, lassen insbesondere zahlreiche Jugendliche mit türkischer und arabischer Herkunft ein extrem reaktionäres Einstellungsbild erkennen. So stimmten 25,2 Prozent der Migranten aus der Türkei und dem arabischen Raum dem Satz zu bzw. „sehr zu“ „Hitler hat für die Menschen auch viel Gutes getan“ - mit 53,4 Prozent sehen ihn vergleichsweise wenige kritisch.
Noch dramatischer ist der Antisemitismus, der durch den Nahost-Konflikt verstärkt wird: 45,6 Prozent der türkisch- bzw. arabischstämmigen Jugendlichen finden, dass „Juden nach wie vor zu viel Einfluss in der Weltwirtschaft haben“. Das sagen unter den Jugendlichen insgesamt „nur“ 15,5%.
Besonders ausgeprägt ist auch die Ablehnung von Homosexualität: Eine relative Mehrheit von knapp 36 Prozent der jungen Türken nennt Homosexualität „eine unnatürliche Lebensweise“.(52)

Die regierungsamtliche Auftragsstudie „Muslime in Deutschland“ (Bundesministerium des Innern 2007) gelangte hinsichtlich des Einstellungsgefüges der islamischen Zuwanderer zu folgendem Ergebnis:
1) „Fundamental orientierte“ Muslime: 40,6%.
2) „Orthodox-religiöse“ Muslime: 21,7%
3) „Traditionell-konservative“ Muslime: 19,0%
4) „Gering religiöse“ Muslime 18,8%.
D. h.: Einem knappen Fünftel von gering religiös orientierten Zuwanderern aus islamischen Staaten steht eine überwältigende Mehrheit von streng-religiösen, traditionell-konservativen und fundamental-orientierten Muslimen entgegen, die in ihren Grundeinstellungen in großen Teilen als pro-islamistisch zu kennzeichnen ist und insgesamt einen starken importierten Block einer „religiös-islamischen Rechten“ darstellt(53).

Trotz der aktuellen Mehrheit eines reaktionär-konservativen Blocks von Einwanderern mit einem orthodox-islamischen Sozialisationshintergrund ist Sarrazins Forderung, „weitere Zuwanderung aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie aus Afrika generell zu unterbinden“ (S. 372), zurückzuweisen. Denn es ist grundsätzlich falsch, Einwanderer aus diesen Ländern/Regionen pauschal zu kulturalisieren und per se als integrationsresistente und streng gläubige Muslime zu klassifizieren. Tatsächlich befinden sich unter den Einwanderern aus islamischen Ländern auch islamgeschädigte Menschen, antiislamistische Oppositionelle mit einer säkular-demokratischen Grundorientierung, Ex-Muslime, verfolgte Christen etc. Für diese bildungsorientierten und integrationsbereiten Gruppen, die das Leben in einem säkularen Land mit einer Grund- und Menschenrechtsordnung gegenüber dem Leben in einem islamischen Gottesstaat oder unter der Diktatur eines repressiven Alltagsislam vorziehen und sich bewusst mit den Grundprinzipien der kulturellen Moderne identifizieren, sollte Deutschland ein offenes Land sein und bleiben. Anstatt nun genau diese Gruppen zu fördern und als Dialogpartner auszuwählen, begehen der deutsche Staat und die politische Klasse den großen Fehler, die orthodoxen Islamverbände zu hofieren und mit einer Islamkonferenz sowie einer ganzen Palette von demokratisch nicht legitimierten Islamisierungsmaßnahmen ausgerechnet die am schlechtesten integrierte, reaktionärste und anpassungsresistenteste Zuwanderergruppe zu belohnen. Demgegenüber wären die spätmodernen europäischen Gesellschaften einschließlich Deutschland gut beraten, gegen die herrschenden Funktionseliten einen offensiven säkular-demokratischen und menschenrechtlichen Grundkonsens durchzusetzen, der den zugewanderten Muslimen in Politik, Medien, Schulen, Gerichten etc. klar und deutlich erklärt: „Wir dulden hierzulande nur eine grundrechtskonforme Verhaltens- und Lebensweise. Einen Prozess der Islamisierung ‚auf leisen Sohlen’ und der Errichtung von islamisch codierten Kolonien werden wir nicht (länger) zulassen. Die Zeit der Verwechselung von Toleranz und Ignoranz ist vorbei“.

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Stern, Elsbeth: Was heißt hier erblich? Die Intelligenzforscherin Elsbeth Stern wiederspricht der Verdummungsthese. http//www.zeit.de/201036/Intelligenz-Sarrazin

Toprak, Ahmed: Das schwache Geschlecht - die türkischen Männer. Zwangsheirat, häusliche Gewalt, Doppelmoral der Ehre. Freiburg im Breisgau 2007.

Verfassungsschutzbericht: http://www.verfassungsschutz.de/download/SHOW/vsbericht_2009.pdf

(Osnabrück, Dezember 2010)

 

Fussnoten

1. So ist es zu einem beinahe zwanghaften Ritual in Talkshows und anderen niedrigschwelligen Infotainmenterzeugnissen geworden, sich zunächst einmal auf gedrechselt-ironische Weise von Sarrazin abzugrenzen, bevor man substanzlose Statements zum Thema „Integration“ absondert.

2. Ohne islamkritischen Bezug vgl. zum Beispiel die Statements von Gunnar Heinsohn und Stefan Luft (2006), mit islamkritischem Bezug die Arbeiten von Necla Kelek (2005, 2006) und den dritten Teil meines Buches Islam - Islamismus - muslimische Gegengesellschaft (Krauss 2008) sowie Krauss/Vogelpohl 2010.

3. Achter Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland. (Beauftrage der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration Juni 2010, S. 44).

4. Laut einer Umfrage des BKK Bundesverbandes sind 84 Prozent der befragten Beschäftigten auch außerhalb ihrer regulären Arbeitszeiten für Kunden, Kollegen und Vorgesetzte erreichbar. Zudem hat sich das betriebliche Arbeitsklima infolge eines wachsenden externen und internen Konkurrenzdrucks verschlechtert.

6. http://www.derwesten.de/nachrichten/wirtschaft-und-finanzen/Jede-fuenfte-Vollzeitkraft-arbeitet-fuer-Niedriglohn-id3958296.html

7. http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/jeder-fuenfte-deutsche-arbeitet-fuer-einen-niedriglohn/1891914.html

8. http://www.openpr.de/news/286152/BBE-Report-Erbschaften-bei-markt-studie-de-Generation-der-lachenden-Erben-erfreut-Bankberater-und-den-Staat.html

9.„Hauptgrund für die starke Zunahme des Erbvolumens ist nicht etwa eine starke Zunahme der Erbfälle, sondern die Erhöhung des Anteils der älteren Generation am weiter expandierenden Vermögen der Deutschen. Bis zum Jahr 2020 wird sich die Zahl der Erbfälle pro Jahr um gut 17 Prozent erhöhen. Im gleichen Zeitraum wird das Vermögen der Privathaushalte aber um rund 40 Prozent steigen. Derzeit entfallen rund 49 Prozent des gesamten privaten Vermögens auf die über 55jährigen. Im Jahr 2020 werden es bereits knapp 60 Prozent sein. Dies wirkt sich auch auf die Erbvolumen aus.“ http://blog.markt-studie.de/generation-der-lachenden-erben-erfreut-bankberater-und-den-staat/

10. http://blog.markt-studie.de/generation-der-lachenden-erben-erfreut-bankberater-und-den-staat/

11. Diese negative Synergie bzw. problematische Koexistenz wird noch auf lange Sicht wirksam bleiben, auch wenn sich die Geburtenrate der prämodern normierten Zuwanderer aufgrund von Modernisierungszwängen allmählich der einheimischen Geburtenrate anpassen mag.

12. Auch die NPD, die MLPD, pädophile Priester und der Castor-Transport gehören zu Deutschland. Aber eben halt nicht als positiv-affirmative Bestandteile, wie der Bundespräsident Wulf den Islam anzudienen bemüht ist.

13. Im Januar 2010 bezogen 7,9 Prozent der Einwohner im Deutschland Hartz-IV.

14. Vgl. zum Beispiel deren Studie „Ungenutzte Potentiale. Zur Lage der Integration in Deutschland“.

15. Gerade eine solche Differenzierung würde aber zu Lasten der Islamapologetik ausfallen.

16. Auf diese Weise wird die Zahl der in Deutschland lebenden Muslime künstlich aufgebläht, um auch von dieser Seite den Anschein zu erwecken, als ob die Etablierung und Ausdehnung der islamischen Herrschaftskultur in Deutschland unumgänglich sei.

17. Dabei wird übersehen, dass auch der Anteil der bereits benannten „Aufstocker“ (erwerbstätige ALG II Bezieher mit Niedrigeinkommen, die auch Kinder haben) zum „leistenden Bevölkerungsteil“ gehört.

18. Bremerhaven/Bremen und Berlin sind außerhalb des deutschen Durchschnitts liegenden „Armutszentren“, deren Zahlen nicht einfach extrapoliert und verallgemeinert werden können. So ist Berlin, die für den ehemaligen Finanzsenator Sarrazin wohl prägende Erfahrungsstätte, die einzige Region in Deutschland, wo die Sozialtransferquote der Paar-Gemeinschaften höher liegt als die der Singlehaushalte.

19.http://www.faz.net/s/Rub0B44038177824280BB9F799BC91030B0/Doc~E0AC5A2CD5A6A481EABE50FAE2AEBA30B~ATpl~Ecommon~Scontent.html

20. Statistik der Grundsicherung für Arbeitssuchende: Berechnung von Hilfsquoten. Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg 2008. http://statistik.arbeitsagentur.de/cae/servlet/contentblob/10126/publicationFile/566/Methodenbericht-SGB-II-Quoten.pdf

21.„Während in der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund der Anteil der Kinder heute bei 21,5% liegt, ist dieser in der Gruppe der Personen mit Migrationshintergrund deutlich höher (35,7%).“ Achter Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland. Juni 2010, S. 49.

22.„Unter den Familien mit türkischem Migrationshintergrund haben 31 Prozent ein Kind, weitere 60 Prozent haben zwei bis drei Kinder Der Anteil der Großfamilien mit vier oder mehr Kindern ist mit neun Prozent relativ hoch und wird nur in der Gruppe der Personen aus dem Nahen Osten und Afrika übertroffen. Einheimische dagegen bringen es gerade einmal auf einen Großfamilienanteil von knapp zwei Prozent“ (Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung 2009, S.19).

23. Ein anderer Teil der durchaus nicht per se aufgrund von Begabungs- und Motivationsmängeln Gescheiterten verarbeitet das negative „Arbeitsmarktschicksal“ auf regressive Weise und generiert pathologische Symptome, die dann im Nachhinein - wie eine sich selbst bestätigende Prophezeiung - dem betroffenen Subjekt als „kausale Schuld“ angelastet werden. (Diese ideologische Ursache-Wirkungs-Verkehrung gibt es allerdings auch in der entgegensetzten Diskursrichtung, indem der Einzelne immer nur als absolut determiniertes „Opfer der Umstände“ und nicht als selbstverantwortliches Subjekt mit einem alternativen Raum von Denk- und Handlungsmöglichkeiten inszeniert wird.)

24. In seiner Schrift „Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850“, beschreibt Karl Marx - noch vor dem Zeitalter der politisch korrekten Sprachverstümmelung - jene Gruppe von „jungen Leuten von 15 bis 20 Jahren“, die von der reaktionären Bourgeoisie gekauft und als konterrevolutionäre Mobilgarde gegen das aufständische Proletariat eingesetzt wurden, folgendermaßen:
„Sie gehörten großenteils dem Lumpenproletariat an, das in allen großen Städten eine vom industriellen Proletariat genau unterschiedene Masse bildet, ein Rekrutierplatz für Diebe und Verbrecher aller Art, von den Abfällen der Gesellschaft lebend, Leute ohne bestimmten Arbeitszweig, Herumtreiber, gens sans feu et sans aveu (Menschen ohne Heim und ohne gesellschaftliche Anerkennung), verschieden nach dem Bildungsgrade der Nation, der sie angehören, nie den Lazzaronicharakter (Tagediebcharakter) verleugnend; in dem jugendlichen Alter, worin die provisorische Regierung sie rekrutierte, durchaus bestimmbar, der größten Heldentaten und der exaltiertesten Aufopferung fähig, wie der gemeinsten Banditenstreiche und der schmutzigsten Bestechlichkeit“ (Marx 1976, S. 26; Einschübe in Klammern von mir, H. K.).
Zur politischen Rolle des Lumpenproletariats allgemein stellen Marx und Engels fest:
„Das Lumpenproletariat, dieser Abhub der verkommenen Subjekte aller Klassen, der sein Hauptquartier in den großen Städten aufschlägt, ist von allen möglichen Bundesgenossen der schlimmste. Dies Gesindel ist absolut käuflich und absolut zudringlich. Wenn die französischen Arbeiter bei jeder Revolution an die Häuser schrieben: Mort auy voleurs! Tod den Dieben! Und auch manche erschossen, so geschah dies nicht aus Begeisterung für das Eigentum, sondern in der richtigen Erkenntnis, dass man vor allem sich diese Bande vom Hals halten müsse. Jeder Arbeiterführer, der diese Lumpen als Garde (= Kerntruppe) verwendet oder sich auf sie stützt, beweist sich schon dadurch als Verräter an der Bewegung.“ (Engels 1976, S. 536.)
„Das Lumpenproletariat, diese passive Verfaulung der untersten Schichten der alten Gesellschaft wird durch eine proletarische Revolution stellenweise in die Bewegung hineingeschleudert, seiner ganzen Lebenslage nach wird es bereitwilliger sein, sich zu reaktionären Umtrieben erkaufen zu lassen“ (Marx 1980, S. 472.)
Eine Bestimmung des „Lumpenproletariats“ (und dessen Verhältnis zu aktuellen Formen der „Lumpenbourgeoisie“) unter den Bedingungen sozialrechtlich regulierter spätkapitalistischer Zuwanderungsgesellschaften mit offenen (deregulierten) Arbeitsmärkten und gravierenden Integrationsproblemen, steht noch aus.

25. Bekanntlich fallen bei der „Internationalen“ die Erkämpfung des Menschenrechts und das Beiseite-Schieben der Müßiggänger, also jener, die „ohne Not“ auf Kosten und zu Lasten Anderer ihre Lebenstätigkeit vollziehen, zusammen.

26. Sarrazin zitiert Darwin, der sich seinerseits auf seinen Cousin Galton bezieht: Wenn sich die unteren Schichten bzw. die „Besitzlosen“, „Leichtsinnigen“, „heruntergekommenen und lasterhaften Glieder der Menschheit … schneller als die besseren Klassen … vermehren, so wird das Volk zurückgehen, wie die Weltgeschichte oft genug gezeigt hat“ (S. 352).

27. Francis Galton: Essays in Eugenics, London 1909, S. 24. Zit. n. Wikipedia. Zugleich erklärte Galton (,Inquiries into Human Faculty and ist Development, London 1907, S. 17 /Fn./), dass „es eine größtenteils völlig unvernünftige Sentimentalität gegenüber der schrittweisen Auslöschung einer niederen Rasse gibt“ (ebenda).

28. Sarrazin spricht zwar mit großem Gestus von „Intelligenz“, unterlässt es aber, diese näher zu bestimmen.
Die beiden folgenden Definitionen sind nach meiner Auffassung eher anthropologisch und nicht „individualbiologisch“ zu interpretieren:
(1) Intelligenz (…) wird als das Potenzial einer Person verstanden, sich die mündliche und schriftliche Sprache sowie den Umgang mit mathematischen und anderen Symbolsystemen der jeweiligen Kultur anzueignen und dies alles für schlussfolgerndes Denken zu nutzen. Die genetischen Voraussetzungen, die alle Menschen - wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß - dafür mitbringen, können sich aber nur bei entsprechender familiärer und schulischer Förderung entfalten“. (Stern 2010).
(2) Intelligenz als die entwicklungspsychologisch wichtigste Voraussetzung für die Entstehung rationalen Denkens und Handelns, „also die Fähigkeit zum denkgestützten Lösen von Aufgaben und Problemen, die Fähigkeit zum induktiv und deduktiv-logisch schlussfolgernden Denken, die Fähigkeit zum abstrakten Denken und die Fähigkeit zu Verständnis und Einsicht – zum Erkennen und zur Herstellung von Strukturen, Beziehungen, Sinnzusammenhängen und Bedeutungen“ (Rindermann 2010, S. 165).
„Intelligenz“ wäre demnach ein wesentlicher Teilaspekt der „menschlichen Natur“ , die „als Entwicklungspotenz zur individuellen Vergesellschaftung eine empirische Eigenart der artspezifischen biologischen Ausstattung darstellt, deren Realisierung aber stets im Hinblick auf historisch bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse erfolgt, so dass sie individualgeschichtlich niemals als „allgemeine“, „abstrakte“ im Individuum hockende Essenz erscheint, sondern immer und notwendig als Realisierungsweise des menschlichen Wesens in konkret-historischer Form“ (Holzkamp-Osterkamp 1977, S. 332).

29.Vgl. hierzu bereits Seidel 1976 sowie generell den kritischen Ansatz der Kritischen Psychologie gegenüber der traditionellen „Variablenpsychologie“. Ein kurzer Überblick findet sich in meinem Aufsatz „‚Bedingtheitsdiskurs’ versus ‚Begründungsdiskurs’. Zum konzeptionellen Kern des Widerstreits zwischen traditioneller und Kritischer Psychologie“ (Krauss 1998). Dort auch umfassende weitere Literaturhinweise.

30. Jeder kann das große Los ziehen. FAZ-Interview mit Elisabeth Stern vom 2. September 2010. http://www.faz.net/s/Rub546D91F15D9A404286667CCD54ACA9BA/Doc~E86A2682DEBF0437EB34B01F2EA21EB55~ATpl~Ecommon~Scontent.html

31. In pseudolinken Kreisen hat sich die intellektuell und moralisch destruktive Unart breit gemacht, nicht mehr die Argumentationsinhalte von Individuen (Autoren) als Beurteilungsmaßstab zu nehmen, sondern deren vermeintliche Nähe zu ideologisch vorgängig stigmatisierten Personen, Gruppen, Organisationen etc., so dass sich jederzeit vermittels beliebiger Vermittlungsschritte „verseuchte“ Kontakte und Verbindungen herstellen lassen. Die angstneurotische Verwicklung in diesen neuen „Kontaktreinheitsfaschismus“ (meinetwegen auch: „Kontaktreinheitsstalinismus“) bringt immer wieder neue Blüten ans Licht. Eine Therapie gegen diese neue Krankheit wäre durchaus angezeigt.

32. Familie Powerpoint. http://www.zeit.de/2009/47/DOS-Analphabeten

33. Gleiche Quelle wie Anmerkung zuvor.

34. Neue Osnabrücker Zeitung vom 8. Juni 2001, S. 8.

35.„Die Fragen bezogen sich im wesentlichen auf den Stoff der siebten und achten Klasse, waren weder schwierig formuliert noch sonderlich anspruchsvoll. (…) So waren die Wortarten bestimmter Wörter zu bestimmen, ebenso Konjunktive und Pluralbildungen. (…) 77.5 Prozent der bayrischen Teilnehmer in Erlangen erkannten ‚käme’ nicht als Form des Konjunktiv Imperfekt, 88,2 Prozent bestimmten ‚manche’ nicht als Pronomen, und 86,6 Prozent konnten ‚dort’ nicht als Adverb identifizieren.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. April 2007, S 1f.

36. Im besten politisch-korrekten Vernebelungsdeutsch drückt das auch der Bildungsforscher Klemm in seiner Antwort auf folgende Interviewfrage zur innerdeutschen Pisa-Studie aus, die Ende 2008 veröffentlicht wurde:
„Auffällig ist, dass immerhin zwei der neuen Bundesländer zur Spitzengruppe gehören. Woran liegt das?
Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Allerdings liegt in den neuen Bundesländern der Anteil der Jugendlichen ohne Migrationshintergrund bei mehr als 90 Prozent. In Nordrhein-Westfalen sind es nur 63 Prozent. Da wir es in Deutschland schlechter als andere Länder schaffen, Kindern mit Migrationshintergrund eine anständige Schulbildung zu vermitteln, zieht das die Ergebnisse der getesteten Schüler insgesamt herunter.“
http://www.goethe.de/wis/fut/bko/de4066271.htm

37. Die neuste PISA-Studie mit dem Schwerpunkt Lesekompetenz weist aus, dass die Schüler in Deutschland ihre Position zwar leicht verbessert haben, aber nach wie vor von den Spitzenländern (Shanghai/China, Südkorea, Finnland, Hongkong/China, Singapur, Kanada, Neuseeland, Japan, Australien) noch weit entfernt sind. Vor allem in der Gruppe der relational leistungsstarken Schüler hat sich nichts verbessert. „Und ausgerechnet im wichtigen Bereich ‚Reflektieren und Bewerten’ liegt eine relative Schwäche der 15-Jährigen über die Schulformen hinweg vor“, wie der deutsche Pisa-Forscher Klieme feststellte. Insgesamt sind die leichten Verbesserungen im Gesamtdurchschnitt darauf zurückzuführen, dass der Anteil der Schüler mit sehr schwachen Lesefähigkeiten von 22,6 auf 18,5 Prozent abgenommen hat. Zwar haben sich auch Schüler mit im Einzelnen nicht näher aufgeklärtem Migrationshintergrund im Vergleich zur ersten PISA-Studie aus dem Jahre 2000 verbessert, doch noch immer schneiden sie um 56 PISA-Punkte deutlich schlechter ab als gleichaltrige Einheimische.

38. Vgl. hierzu Krauss 2008, Teil 3, sowie dort die abschließende Skizze S. 442.

39. Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland. Bonn August 2005, S. 95.

40. Der Abschlußbericht „Wirkungen des SGB II auf Personen mit Migrationshintergrund“ geht mit einer engeren Definition im Hinblick auf die Familiensprache von etwa 28 Prozent der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen aus, die einen Migrationshintergrund haben. „Insgesamt sind Migrant/innen mit etwa doppelt so hohem Anteil von Hilfebedürftigkeit betroffen wie Deutsche ohne Migrationshintergrund; Arbeitslose ohne deutsche Staatsangehörigkeit konzentrieren sich stärker im Rechtskreis des SGB II als deutsche Arbeitslose.“

41. Abschlußbericht „Wirkungen des SGB II auf Personen mit Migrationshintergrund“ (2009, S. 37).

42. Kirsten Heisig: Was eine Richterin über kriminelle Migranten denkt. http://www.welt.de/berlin/article2462893/Was-eine-Richterin-ueber-kriminelle-Migranten-denkt.html
18. September 2008.

43. Neue Osnabrücker Zeitung vom 1.12.2010, S. 5.

44. Zur Kritik der Leugnung des Islam im Singular und der Vertauschung der Ebenen „Islam“ und Muslime“ vgl. Krauss 2010, S. 59ff. Auch Sarrazin (S. 268) sitzt den einschlägigen Verzerrungen sowie der Behauptung auf, es gäbe nur „Islame“ aber keinen Islam.

45. Dabei ist ‘Scharia’ nicht nur die islamspezifische Form straf- und zivilrechtlicher Regelungen, sondern bezeichnet im weiteren Sinne die Gesamtheit der aus dem Koran und der Sunna abgeleiteten Vorschriften und Normen.

46 Eine strukturanalytische Skizze zur muslimischen Sozialisation findet sich in Krauss 2008, S. 372ff. Vgl. auch Krauss/Vogelpohl 2010.

47. So berichtet der niederländische Soziologe Paul Scheffer von einer Eliteschule in Antwerpen mit zahlreichen muslimischen Schülern. Was auf den ersten Blick wie eine Erfolgsgeschichte aussieht, erweist sich bei näherer Betrachtung als zweischneidig: So berichten die Lehrer, „dass es schwierig geworden ist, im Geschichtsunterricht über den Holocaust zu reden, im Biologieunterricht über die Evolution und im Literaturunterricht über einen ‚perversen’ Schriftsteller wie Oscar Wilde“ (Der SPIEGEL 42/2009, S. 37).

48.„Die Heirat unter Verwandten auf dem Land wird deshalb gefördert, weil die Frau als ökonomisch wertvolle Arbeitskraft den Haushalt der Verwandten und nicht eine ‚fremde’ Familie stärken soll“ (Toprak 2007, S. 73)

49. Zwar gibt es in Deutschland tatsächlich rechtsreaktionäre Kräfte, die den Islam als Konkurrenten um die herrschaftskulturell wünschenswerte Form einer autoritär-hierarchischen Gesellschaftsformierung befehden. Aber es ist eben gerade aus einer fortschrittlich-emanzipatorischen Perspektive grundsätzlich unhaltbar, nur diesen Aspekt einseitig zu fokussieren und dabei gleichzeitig außer Acht zu lassen, dass die Verfechter des orthodoxen und islamistisch radikalisierten Islam die quantitativ und qualitativ eindeutig größere Gefahr darstellen. D. h.: Der ideologisch-selektive und damit veraltete „Blick nach rechts“ leidet mittlerweile an einem realitätsverzerrenden „Grünen Star“.

50. In Holland werden Juden von muslimischen (marokkanischen und türkischen) Jugendlichen bereits so massiv bedroht, dass sie um ihr Leben fürchten müssen. „Orthodoxe oder ‚bewusste’ Juden täten daher gut daran, zu emigrieren und die Niederlande zu verlassen, sagte der ehemalige niederländische EU-Kommissar Frits Bolkestein den orthodoxen Juden in den Niederlanden. ,Mit bewussten Juden meine ich die Juden, die durch ihr äußeres Erscheinungsbild als Juden erkennbar sind. Für sie gibt es hier keine Zukunft mehr wegen des wachsenden Antisemitismus vor allem unter marokkanischen und unter türkischen Jugendlichen. Und die Anzahl dieser antisemitischen Jugendlichen steigt ständig.’ Das sagt Bolkestein der Zeitung ‚De Pers.’“
http://www.derwesten.de/nachrichten/Juden-in-Holland-fuerchten-um-ihr-Leben-id40

51. Weitere Daten und Fakten zum reaktionären Einstellungs- und Verhaltenspotenzial von orthodoxen und islamistischen Muslimen siehe Krauss 2008 und 2010.

52. Die Ergebnisse wurden am 5. November 2010 publiziert http://www.oe24.at/oesterreich/politik/25-2-finden-Hitler-gut/6467082

53. Gemäß der Studie der GfK Austria GmbH „Integration in Österreich“ (2009) gaben 72 Prozent der befragten türkisch-muslimischen Zuwanderer an, dass die Befolgung der Gebote ihrer Religion für sie wichtiger sei als die Demokratie. 90 Prozent waren der Auffassung, der Staat sollte Fernsehen und Zeitungen kontrollieren, um Moral und Ordnung sicherzustellen. 48 Prozent waren der Ansicht, dass man an den vielen Kriminellen in Österreich sieht, wohin die Demokratie führt.

 

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