Mouhanad Khorchide „Islam ist Barmherzigkeit“, Herder 2012
Stimmt das wirklich oder konstruiert Herr Prof. Khorchide in Wahrheit nicht einen Wunschislam mit sufistisch-mystischen Wurzeln? Anmerkungen und Fragen zu seinem Buch von Hans-Joachim Lehmann, Mitglied der GAM Gesellschaft für wissenschaftliche Aufklärung und Menschenrechte e.V., Osnabrück

  • In seinem Vorwort schreibt Herr Prof. Khorchide, dass der Islam sich als Religion der Barmherzigkeit verstehe, und zitiert Sure 21,107: „Wir haben dich lediglich als Barmherzigkeit für alle Welten entsandt.“

    Da nur Allah mit den Namen „der Barmherzige“ bzw. „Barmherzigkeit“ geschmückt werden darf, ist offenkundig nicht Mohammed als Barmherzigkeit gemeint, sondern Allah, der Mohammed aus Barmherzigkeit gesandt - korrekter ist es wohl zu sagen „auserwählt“ - hat, den Text des „himmlischen Urbuches“, der von Allah in die unterste Himmelsphäre herabgesandt wurde, als Offenbarungen Allahs unverfälscht den Menschen zu übermitteln.

    Als der Barmherzige hat somit Allah auch die Sure 1 mit dem Titel „Die Eröffnung“ von Mohammed verkünden lassen, die von einem gläubigen Muslim bei Einhaltung der täglichen fünf Pflichtgebete insgesamt siebzehnmal gesprochen wird.

    Wie ist es dann zu verstehen, wenn in den Versen 6 und 7 Allah die Muslime um die Führung auf einem Weg beten lässt, der nur denjenigen zukommt, die sich nicht seinen Zorn zugezogen haben und die nicht irre gegangen sind? Den Zorn Allahs zugezogen haben sich die Juden, weil sie in Medina Mohammed im Stich gelassen und damit den sog. Vertrag von Medina gebrochen hatten. Nach islamischem Glauben Irre gegangen sind die Christen, weil diese die Offenbarungen Allahs kannten, aber verfälschten bzw. falsch deuteten, insbesondere die Hinweise auf die Sendung Mohammeds. Allah lässt somit in der Sure 1 von seinen Gläubigen die Juden und Christen 17 Mal am Tag schmähen und verunglimpfen. Wie kann ein solches Gebet göttlichen Ursprungs sein? Meint Allah, auf diesem Weg „Mitliebende“ finden zu können?

  • Im Kapitel 2.1 „Gott ist die Barmherzigkeit“ wird auf Seite 38 oben die These aufgestellt, dass die Formulierung „Gott ist die Barmherzigkeit“ zutreffender sei als „barmherziger Gott“. Wie ist es dann zu verstehen, dass - mit Ausnahme der Sure 9 - alle Suren (nur) überschrieben sind mit „Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen“ und nicht mit „Im Namen Allahs, des Erbarmers, der Barmherzigkeit?

  • Im Kapitel „Wer und wie ist Gott“ wird auf Seite 35 des Buches davon gesprochen, dass Allah seine Beziehung zu den Menschen nicht als eine Herr-Knecht-Beziehung, sondern als eine Freundschaftsbeziehung, ja als Liebesbeziehung ansehe.

    Wie ist dann aber Sure 51,56 zu verstehen, in der es heißt: „Und ich habe die Dschinn und Menschen nur dazu geschaffen, dass sie mir dienen“?

    Und warum ist den Muslimen vorgeschrieben, im Verlauf ihrer Ritualgebete mehrmals den Sudschud zu machen, d.h. sich niederzuwerfen bzw. sich aus einer sitzenden Position so tief zu beugen, dass mit der Stirn der Boden berührt wird?

    Und wie ist es zu verstehen, wenn einem Muslim ein großer oder kleiner Kufr (Unglaube) vorgeworfen werden kann, wenn er sich in seinem Leben nicht nach den Gesetzen Allahs richtet, mit der Folge, dass er bei einem großen Kufr aus der Umma, der Gemeinschaft der Muslime, ausgeschlossen werden kann? Für einen gläubigen Muslim eine der höchsten Strafen.

  • Im Kapitel 2.1 „Gott ist die Barmherzigkeit“ wird auf Seite 41 Sure 7,52 zitiert: „Wir haben eine Schrift verkündet […] Als Rechtleitung und Barmherzigkeit für diejenigen, die daran glauben.“

    Bedeutet dies nicht, Barmherzigkeit nur für die Muslime, nicht für die Ungläubigen bzw. Andersgläubigen?

  • Und weiter unter diesem Kapitel wird auf Seite 45 oben behauptet, dass der Koran mit der Offenbarung „Wir haben dich lediglich als Barmherzigkeit für alle Welten entsandt“ die Barmherzigkeit als Hauptanliegen und Hauptaspekt der Botschaft Mohammeds unterstreiche, diese Worte aber von vielen Muslimen nur als Ermahnung verstanden werde, sich an die Gesetze Gottes zu halten.

    Diese Aussage ist nicht nachvollziehbar. Entspringt die Haltung vieler Muslime nicht eher den Botschaften Mohammeds in den medinensischen Suren 3 und 4, in denen zu lesen ist: „Sprich: gehorchet Allah und dem Gesandten“ (Sure 3,32). „Und gehorchet Allah und dem Gesandten, auf dass ihr Erbarmen findet“ (Sure 3,132); „Wer Allah und seinem Gesandten gehorcht, den lässt Er in Gärten eingehen, unter denen Bäche fließen; darin werden sie ewig weilen“ (Sure 4,13); „Diejenigen, die Allah und dem Gesandten gehorchen, befinden sich mit denen, die Allah begnadet hat, von den Propheten, den Wahrhaftigen, den Zeugen und den Rechtschaffenen (Sure 4,69)? Und auch in Sure 2,161steht genau das Gegenteil: „Über diejenigen, die nicht glauben und als Ungläubige sterben, kommt der Fluch Allahs und der Engel und der Menschen allesamt“.

  • Im Kapitel 2.3 „Die Barmherzigkeit Gottes steht über der Strafe Gottes“ wird auf Seite 51 Mitte behauptet, dass an keiner Stelle im Koran Allah über sich sage, er sei der Bestrafende. Wie ist diese Behauptung dann aber mit Sure 3,4 zu vereinbaren, wo geschrieben steht: „Zuvor als Rechtleitung für die Menschen, und er hat die Unterscheidungsnorm herabgesandt. Diejenigen, die die Zeichen Gottes verleugnen, erhalten eine harte Pein. Und Gott ist mächtig und übt Rache“.

  • Auf Seite 55 unten wird unter dem Kapitel 2.4 „Das Jenseits ist ein Ort der Transformation - Eine andere Lesart von Paradies und Hölle“ deklamiert - bezugnehmend auf Sure 6,12 - , dass Allah sich selbst zur Barmherzigkeit verpflichtet habe und - wie es heißt „euch“ - zum Tag der Wiederauferstehung versammeln werde. Wem gilt nun Allahs Barmherzigkeit? Allen Menschen oder nur den Muslimen? Denn weiter heißt es in Vers 12: „Diejenigen, die sich selbst verloren haben, die glauben eben nicht.“ Unter Einbeziehung dieses letzten Satzes kann die Barmherzigkeit Allahs doch nur den Muslimen gelten.
    Ist das mit der behaupteten absoluten Barmherzigkeit Allahs gegenüber allen Menschen vereinbar?

  • Und weiter unter diesem Kapitel wird auf Seite 56 Mitte auf Sure 10,26 hingewiesen, nach der „Diejenigen, die Gutes tun, Gutes und viel mehr (im Paradies) erwarte“. Diese Aussicht soll Allah verheißen, weil er auch im Jenseits alles dafür tue, Mitliebende zu haben. Warum verheißt Allah den Bösen in Vers 27 dann aber das ewige Feuer? Denn in Vers 27 steht geschrieben: „Diejenigen, die die bösen Taten erwerben, erhalten zur Vergeltung für eine (jede) schlechte Tat das ihr Entsprechende, und Erniedrigung wird schwer auf ihnen lasten - sie haben niemanden, der sie vor Allah schützen könnte -, als wären ihre Gesichter von Fetzen einer finsteren Nacht bedeckt. Das sind die Gefährten des Feuers; darin werden sie ewig weilen“.

    Aus diesem Grunde ist auch die auf Seite 63 f. dargelegte Meinung Prof. Khorchides schwer nachzuvollziehen, dass für den Menschen die Hölle nicht ewig sei, sondern der Aufenthalt in ihr Allahs Willen unterliege.

    Und können wirklich auch alle Muslime sicher sein, dass sie eines Tages ins Paradies gerufen werden? Hat Allah verbindlich nicht nur den Märtyrern den direkten Einzug ins Paradies versprochen? Sure 9,111: „Gott hat von den Gläubigen ihre eigene Person und ihr Vermögen dafür erkauft, dass ihnen das Paradies gehört, insofern sie auf dem Weg Allahs kämpfen und so töten und getötet werden.“

  • Unter dem Titel „Die Hölle ist ein Nein zu Liebe und Barmherzigkeit“ wird auf Seite 67 Mitte ausgeführt, dass Allah letztendlich alle in seine Gemeinschaft aufnehmen wolle, bis auf diejenigen, die Nein zu seiner Liebe und Barmherzigkeit, Nein zu seiner Gemeinschaft sagen. Damit wären die Juden und Christen ausgenommen, da diese nie ja zu einer Gemeinschaft mit Allah sagen könnten. Erstreckt sich folglich die Barmherzigkeit Allahs letztlich nicht allein auf die Gemeinschaft der Muslime? Und geht aus diesem Grunde nicht der zitierte Hadith Nummer 5569 fehl, nach dem Allah noch barmherziger zu den Menschen sei, als eine stillende Mutter zu ihrem Kind? Oder verstehen Allah und Mohammed vielleicht unter dem Begriff „Menschen“ nur die Muslime?

  • In Kapitel 3.1 „Gott sucht Mitliebende“ wird Sure 55,1-3 zitiert. In dieser Sure wird mit bewegenden Worten Allah als der gütige Schöpfergott gepriesen, der den Menschen, die Gestirne, die Erde und alles, was sie enthält, geschaffen habe und jeden Tag die Menschen und die Dschinnen mit Wohltaten beglücke. Ab Vers 35 wird aber plötzlich von den Höllenqualen der Verdammten gesprochen und anschließend auch von den Freuden im Paradies. Kann danach noch von einem gütigen Schöpfergott gesprochen werden? Schließt nicht der strafende und belohnende Allah den barmherzigen und gnädigen aus? Wieso sind die Höllenqualen Wohltaten des Herrn, deren der Mensch gedenken soll? (siehe hierzu Tilman Nagel, der Koran - Einführung Texte Erläuterungen, Beck 2002, S. 184).

  • Im Kapitel 4.1 „Muslim ist jeder, der Ja zu Gottes Liebe und Barmherzigkeit sagt“ behauptet Herr Prof. Khorchide auf Seite 98, dass der Inhalt der Sure 6,151-153 Kern aller drei Religionen - Islam, Christentum und Judentum - sei. Dies muss zumindest für das Christentum bezweifelt werden, denn das koranische Verbot: „Ihr sollt ihm nichts an die Seite stellen“ kann für das Christentum keine Gültigkeit haben. In ihm sind Jesus und der Heilige Geist Gott zur rechten und linken Seite gestellt. Aus diesem Grund kann auch der Aussage weiter unten: „Die Religion bei Gott ist der Islam“ (Sure 3,19) nicht zugestimmt sondern muss heftigst widersprochen werden.

  • Eine große Anmaßung des Islam stellt die auf den Seiten 98 ff. näher begründete Behauptung dar, dass jeder, der sich zu göttlicher Liebe und Barmherzigkeit bekenne und dies durch sein Handeln bezeuge, ein Muslim sei und jeder Mensch als Muslim geboren werde und Muslim bleibe, solange er sich nicht bewusst gegen den Islam entscheide. Abraham, Lot, Noah und die Anhänger Jesu im Koran als Muslime zu bezeichnen, ist ein Affront gegen Christen.

  • Die Interpretation des Begriffes Kufr durch Herrn Prof. Khorchide auf den Seiten 102 ff. als Ablehnung bzw. Verweigerung der göttlichen Liebe und Barmherzigkeit ist sehr beschönigend. Nach dem Selbstverständnis des Islam bedeutet Kufr unzweideutig Unglaube, wobei zwischen den Arten Verleugnung (der Rechtmäßigkeit der Anwendung einer von Allah herabgesandten Pflicht), Arroganz und Stolz, während man gleichzeitig die Wahrheit anerkennt, Abwenden, Zweifel und Heuchelei sowie zwischen dem großen Kufr und dem kleinen Kufr unterschieden wird. Aus diesem Grunde sind auch die sogenannten Schriftbesitzer, d.h. die Juden und die Christen, dem Unglauben aus Arroganz und Stolz verfallen. Sure 6,20 sagt: „Sie wissen um den Propheten und den ihm offenbarten Koran, so wie sie um ihre Söhne wissen.“ Für einen Muslim haben uneingeschränkt die Offenbarungen Allahs im Koran zu gelten, will er nicht aufgrund seines großen Unglaubens für immer und ewig im Fegefeuer der Hölle schmoren oder aufgrund seines kleinen Unglaubens Bestrafung erwarten müssen. Kufr hat somit nichts mit Ablehnung bzw. Verweigerung der göttlichen Liebe und Barmherzigkeit zu tun.
    (Siehe hierzu: Allamah Ibn al-Qayyim al-Dschawziyya, Das Herrschen nach anderen Gesetzen als Allahs, Auszug aus Madarisch as-Salikin, übersetzt von H. Citlak)

    Und werden den Glaubensabtrünnigen, nach Prof. Khorchide den Verweigerern der Gemeinschaft mit Allah, nicht schwere Strafen im Jenseits angedroht?
    Sure 3,86-88: „Wie sollte Gott Leute rechtleiten, die ungläubig geworden sind, nachdem sie gläubig waren, und (nachdem sie) bezeugt haben, dass der Gesandte (Allahs und seine Botschaft) wahr ist, und (nachdem sie) die klaren Beweise erhalten haben! Allah leitet das Volk der Frevler nicht recht. Ihr Lohn besteht darin, dass der Fluch Allahs und der Engel und der Menschen insgesamt auf ihnen liegt… (Sie werden zum Höllenfeuer verdammt) um (ewig) darin zuweilen, ohne dass ihnen Straferleichterung oder Aufschub gewährt wird.“ (Übersetzung Paret)
    Sure 16,106-107: „Diejenigen, die an Allah nicht glauben, nachdem sie gläubig waren… nein, diejenigen, die (frei und ungezwungen) dem Unglauben in sich Raum geben, über die kommt Allahs Zorn und sie haben (dereinst) eine gewaltige Strafe zu erwarten. Dies geschieht ihnen dafür, dass sie das diesseitige Leben dem Jenseits vorziehen. Allah leitet eben das Volk der Ungläubigen nicht recht.“ (Übersetzung Paret)

  • Und ist der Unglaube nicht auf den ausdrücklichen Willen Gottes zurückzuführen? So steht in Sure 6, 125: „Wen Allah rechtleiten will, dem weitet Er die Brust für den Islam. Und wen Er irreführen will, dem macht Er die Brust beklommen und bedrückt, so als ob er in den Himmel hoch steigen würde. Auf diese Weise legt Gott das Greuel auf diejenigen, die nicht glauben.“ (Übersetzung Khoury)

    Und in Sure 7, 178-179 ist zu lesen: „Wen Allah rechtleitet, der ist es, der der Rechtleitung folgt. Und die, die Er irreführt, das sind die Verlierer.“ (Übersetzung Khoury)
    Unglaube ist somit keineswegs als Ablehnung bzw. Verweigerung der göttlichen Liebe und Barmherzigkeit anzusehen, und es liegt nicht am Menschen, sich in Freiheit für oder gegen die Gemeinschaft mit Allah zu entscheiden, wie Prof. Khorchide auf Seite 105 seines Buches behauptet.

  • Auf Seite 118 behauptet Herr Prof. Khorchide unter dem Kapitel „Rituale sind mehr als Gottesdienst“, dass Allah den Dienst des Menschen nicht brauche, insbesondere nicht die Gebete. Aber bedeutet das arabische Wort „Salah“ nicht gerade „Verbindung“, „das Hingelangen“, und steht es damit nicht für eine direkte Verbindung zwischen Allah und dem Menschen, ohne Einschaltung eines Vermittlers? Allah soll sich doch angeblich umso mehr freuen, je mehr ein Mensch die Gemeinschaft mit Allah sucht.

    Außerdem ist das tägliche Pflichtgebet eines Moslem nicht irgendeine Pflicht, sondern als zweite Säule des Islam eine der wichtigsten Glaubensdinge. Es bildet im Glaubensbereich und im islamischen Recht eine absolute Pflicht. (Ahmad A. Reidegeld, Handbuch Islam, Spohr 2008, S. 243 f.)

    Warum dann die Behauptung, dass Allah den Dienst des Menschen nicht brauche, insbesondere nicht die Gebete?

  • Zum Thema „Scharia“ wird von Herrn Prof. Khorchide auf Seite 131 gesagt dass diese in klarem Widerspruch zum Islam stünde, weil es nicht Aufgabe von Religionen, auch nicht des Islam sei, Gesetze zu erlassen. In welchem Zusammenhang mit dieser Aussage steht dann die Offenbarung in Sure 2,185: „Der Koran wurde herabgesandt als Wegweiser für die Menschen. Als klares Zeichen der Unterscheidung von richtig und falsch. Er ist eine Rechtleitung. Und er ist Heilung“?

  • Weiter unten auf Seite 137 wird unter dem Titel „Erste Differenzierung: mekkanische versus medinensische Koranverse“ erläutert, dass Mohammeds in Medina begonnen habe, an den Grundlagen für die Errichtung eines Rechtsstaats zu arbeiten und daher im Koran auch Gesetze und Regelungen vorgeschrieben worden seien, die das gesellschaftliche Leben regeln sollten. Wird von Herrn Prof. Khorchide das Verb „arbeiten“ nur aus Versehen verwendet, oder hatten Mohammed tatsächlich an den Gesetzen und Regelungen gearbeitet, die ihm somit nicht von Allah offenbart wurden?

  • Zur historischen Kontextualisierung des Koran schreibt Herr Prof. Khorchide auf Seite 141 seines Buches, dass der Koran diese selbst vornehme, weil er selbst davon spreche, dass es immer wieder eine Reform in den juristischen Maßnahmen gegeben habe. Zum Beleg zitiert er aus Sure 5,48.

    Dieser Koranvers wird aber nicht korrekt wiedergegeben. In der Übersetzung Khourys heißt es: „Und Wir haben zu dir das Buch mit der Wahrheit hinabgesandt, damit es bestätige, was vom Buch vor ihm vorhanden war, und alles, was darin steht, fest in der Hand habe.“ Damit werden in diesem Vers die früheren Propheten und die Teile des Korans, die bereits in den prophetischen Offenbarungen zuvor vorhanden waren, bestätigt. Kann aber aus der Nichtübernahme von zum Beispiel gesetzlichen Bestimmungen aus alten prophetischen Offenbarungen in den Koran geschlussfolgert werden, dass der Koran als letzte Offenbarung Allahs sich in den juristischen Regelungen selbst korrigiert?
    Und welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang Sure 10,64, wo geschrieben steht: „Und Allahs Worte sind unabänderlich“?

  • Weiter unten auf den Seiten 145 ff. macht Herr Prof. Khorchide einen Unterschied zwischen Mohammed als Gesandter Allahs und Mohammed als Staatsoberhaupt (Mensch). Als Gesandter hätte Mohammed nur die Aufgabe eines Botschafters, eines Überbringers der Offenbarungen Allahs. Als Prophet sei er jedoch ein Mensch, der in einer Interaktion mit der Botschaft Allahs stünde, sie interpretiere, zu verstehen versuche und bemüht sei, die Botschaft so umzusetzen, wie es ihm als Mensch sinnvoll erscheine. Das aber würde bedeuten, dass die Verse, in denen Mohammed als Prophet angesprochen wird, keinen verbindlichen Charakter hätten, da Mohammed als Prophet, d.h. als Mensch, nicht fehlerfrei sein kann. Oder sind diese Verse möglicherweise nicht direkt von Allah gesandt worden, sondern später unter seinem ersten Nachfolger Abu Bakr und noch viel später vom Kalifen Uthmann eingefügt worden, um deren Autoritäten als Führer der Muslime, die bei weitem nicht so hoch waren wie die von Mohammed, zu stärken?

  • Scharia als menschliches Konstrukt?
    Diesen Thesen Prof. Khorchides auf den Seiten 158 ff. kann nicht gefolgt werden, da die Scharia (ursprünglich „Weg zur Tränke“, „Weg“, „Ritus“, im übertragenen Sinn „Rechtleitung“, einem zentralen Motiv im Koran) auf drei Quellen basiert: dem Koran, den Hadithen (Überlieferungen über das Leben und den Aussagen Mohammeds) sowie den weitgehend als normativ anerkannten Auslegungen islamischer Rechtsschulen, weitestgehend aus frühislamischer Zeit. Als menschliches Konstrukt der drei Quellen der islamischen Lebensordnung können somit nur die Auslegungen islamischer Rechtsschulen angesehen werden, weil auch die Hadithe wie der Koran selbst für einen gläubigen Muslim verbindlichen Charakter haben.
    (Siehe hierzu auch: Christine Schirrmacher, die Scharia, Hänssler-Paperback 2007, S. 17 ff.; Tilman Nagel, Das islamische Recht - eine Einführung, WVA-Verlag Skulima 2001, S. 3)
    Im Übrigen führt Herr Prof. Khorchide selbst weiter unten (Seite 178) die Gesetzgebung als 8. Kategorie im Koran auf.

  • Auf Seite 208 führt Herr Prof. Khorchide unter dem Titel „Beispiel IV: Umgang mit Andersgläubigen“ als eine (vermeintliche) koranische Maxime die Religionsfreiheit auf, und begründet diese mit Sure 2,256: „Es gibt keinen Zwang im Glauben.“

    Dieser Vers lässt aber nach überwiegender Meinung muslimischer Theologen nicht einen freien Religionswechsel in beide Richtungen und die Gleichberechtigung aller Religionen zu, sondern wird nach der Mehrheit der klassisch-islamischen Theologen im Sinne des einflussreichen ägyptischen Gelehrten Yusuf al-Qaradawi dahingehend ausgelegt, dass man keinen Menschen zum Akt des Glaubens (im Sinne eines Überzeugt-Seins) zwingen könne. Nach Auffassung dieses Gelehrten darf ein Muslim in seinem Innersten durchaus Zweifel hegen, er darf jedoch mit niemandem über seine Zweifel sprechen, nicht zu einer anderen Religion konvertieren oder versuchen, andere vom Islam abzuwerben.

    Glaubensfreiheit bedeutet demnach nicht Religionsfreiheit, sondern nur innere Gedanken- und Überzeugungsfreiheit, ohne dass diese auch zum Ausdruck kommen darf. Wird sie zum Ausdruck gebracht, gilt dies als Aufruhrstiftung, Verrat und Entzweiung der muslimischen Gesellschaft und muss nach Yusuf al-Qaradawi mit dem Tode bestraft werden.
    (Quelle: Prof. Dr. Christine Schirrmacher, www.islamdebatte.de/Konfliktfelder/apostie-religionsfreiheit)

    Vgl. zu diesem Thema auch die Ausführungen zur Behauptung „Der Islam ist friedlich und tolerant“ von Hartmut Krauss in seinem Buch „Feindbild Islamkritik“, Osnabrück 2010, S. 50-59.

25.11.2015


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