Hartmut Krauss




Für ein Europa der aufgeklärten Gesellschaften


Folgt man den chronisch gewordenen Realitätsverzerrungen der Massenmedien, wie sie jetzt angesichts der Brexit-Entscheidung wieder massiv in Umlauf gebracht werden, dann gibt es nur zwei sich ausschließende Positionen bzw. entgegengesetzte Lager: Auf der einen Seite die mehr oder minder unkritischen EU-Befürworter als „gute Europäer“ und auf der anderen Seite die neonationalistischen EU-Gegner als Front antieuropäischer „Rechtspopulisten“. Was im Rahmen dieses holzschnittartigen Dualismus komplett unterschlagen wird, ist der Sachverhalt, dass die EU in ihrer jetzigen, von Krisen geschüttelten, bürokratisch-vormundschaftlichen Gestalt nur eine (misslungene) Realisierungsform der Europa-Idee ist. Ein alternatives Konzept, das Europa primär als eine säkular-demokratische und menschenrechtliche Wertegemeinschaft aufgeklärter und identitätsstarker Völker fokussiert, mit (a) kontrollierten Außengrenzen, (b) bewusst-auswählenden ökonomischen, politischen und kulturellen Beziehungen nach außen („selektive Globalisierung“), (c) allgemeinwohlorientierten ökonomischen Binnenbeziehungen und (d) Aufkündigung des antirussischen Vasallenverhältnisses gegenüber den USA, wird dabei kategorisch ausgeschlossen bzw. geflissentlich ausgeblendet. Zur EU in ihrer jetzigen Gestalt darf und soll es keine Alternative geben.


Europa als tatsächliche (nichtphraseologische) Wertegemeinschaft

Infolge der Verknüpfung von geistig-kultureller (Aufklärung), antifeudaler und industrieller Revolution avancierte Europa im 19. und 20. Jahrhundert zum zivilisatorischen Zentrum der Welt. Trotz des späteren Kolonialismus, Imperialismus und zweier Weltkriege sowie der kapitalistischen Negation zahlreicher emanzipatorischer Gründerideale gelang hier erstmalig und nachhaltig die Überwindung vormoderner Herrschaftsverhältnisse sowie die Hervorbringung eines ganzen Ensembles „moderner“ (posttraditionaler) Prinzipien: So das Konzept der universellen Menschenrechte (gegen die ständisch-religiöse bzw. geburtsrechtliche Zuteilung von Lebenschancen), die Trennung von Religion einerseits und Staat, Recht und Privatsphäre andererseits, die Idee des freien und emanzipationskompetenten Individuums, das Regulativ der Gewaltenteilung, die Prinzipien der Volkssouveränität, der Demokratie sowie der Rechtsbindung des Regierungsinstanzen etc. Kurzum: Europa ist die Geburtsstätte der kulturellen Moderne und einer säkular-menschenrechtlichen Lebensordnung.

Was den europäischen Kulturraum demnach auszeichnet, ist der revolutionäre Übergang von der mittelalterlich-feudalen ‚Prämoderne‘ zur neuzeitlichen ‚Moderne‘, der schließlich zur Etablierung einer spezifisch eingebetteten bzw. normativ-institutionell auf besondere Weise eingehegten bürgerlich kapitalistischen Gesellschaftsformation geführt hat. Genauer betrachtet vollzog sich diese soziokulturelle Transformation als mehrstufiger Umwälzungsprozess in Gestalt von Renaissance, Reformation und Aufklärung, der von antifeudalen Oppositionskräften unter Führung städtebürgerlicher Schichten getragen wurde.

Im Rahmen dieses Prozesses wurde die ideologisch-kulturelle Prägekraft des theozentrischen Weltbildes und die gesellschaftliche Normierungsmacht der christlichen Religion systematisch untergraben und geschwächt, was im Endeffekt dazu führte, dass diese ihre Eigenschaft als absolute, d.h. allein gültige und letztlich entscheidende geistig-moralische Deutungs- und Normierungsinstanz einbüßt hat. D.h.: Es kam zu einer radikalen Aufhebung der privilegierten, mit zahlreichen Sonderrechten versehenen Monopolstellung des Religiösen als geistig-moralischer Herrschaftsinstanz.

Dieses revolutionäre Sozialerbe sollte die zentrale Identitätsgrundlage einer kulturhistorisch gewachsenen Wertegemeinschaft bilden, die es gegen spätkapitalistische (Selbst-)Negationen und nichtwestlich-herrschaftskulturelle Anfeindungen und Zersetzungen zu bewahren und auszubauen gilt.


Zum quantitativen Bedeutungsverlust Europas

Während die Bevölkerungen in vormodernen, religiös-patriarchalisch regulierten, ökonomisch (korrupt-kleptokratischen1) und soziokulturell rückständigen Regionen weiterhin exorbitant wachsen werden2, betrug der Anteil des „schrumpfvergreisenden“ Europas an der Weltbevölkerung 1900 noch 21%, beläuft sich heute auf 10% und wird 2100 noch 6% aufweisen.

Dieser quantitativ-demographische Bedeutungsverlust wird negativ ergänzt und verstärkt durch die Masseneinwanderung bildungsferner und soziokulturell divergent sozialisierter und sozialisierender Einwanderer vornehmlich aus islamischen Ländern sowie von traditionalistisch geprägten Armutsflüchtlingen aus den postrealsozialistischen Ländern Osteuropas, denen der Übergang zum Kapitalismus keine blühenden Landschaften, sondern zerrüttete Sozialstrukturen hinterlassen hat. Infolgedessen haben sich – auf Kosten und zu Lasten der Mehrheitsbevölkerung, aber zugunsten der Migrationsindustrie – gravierende mehrdimensionale Integrationsprobleme herausgebildet, die auf zahlreiche gesellschaftliche Systemebenen (Arbeitsmarkt, Sozialtransfersystem, Bildungssystem, Rechtssystem, System der inneren Sicherheit etc.) durchschlagen, dort neue soziale Gegensätze hervorbringen und damit den inneren Bürgerfrieden zunehmend bedrohen und zersetzen.

Bereits heute leben in der EU ca. 16 Millionen Muslime. Infolge der ungesteuerten Masseneinwanderung vornehmlich aus islamischen Ländern ist in Deutschland von 2013 bis heute der muslimische Bevölkerungsanteil von ca. 3,5 Millionen auf 4,7 Millionen angestiegen. Manche Stimmen behaupten, dass um das Jahr 2025 die Zahl der Muslime in Europa auf 30 bis 40 Millionen hochschnellen wird.3 Das amerikanische PEW Research Center kam 2015 zu folgender Prognose:

Europe‘s Christian population is expected to shrink by about 100 million people in the coming decades, dropping from 553 million to 454 million. While Christians will remain the largest religious group in Europe, they are projected to drop from three-quarters of the population to less than two-thirds. By 2050, nearly a quarter of Europeans (23%) are expected to have no religious affiliation, and Muslims will make up about 10% of the region‘s population, up from 5.9% in 2010. Over the same period, the number of Hindus in Europe is expected to roughly double, from a little under 1.4 million (0.2% of Europe’s population) to nearly 2.7 million (o.4%), mainly as a result of immigration. Buddhists appear headed for similarly rapid growth in Europe – a projected rise from 1.4 million to 2.5 million.“4

Übersicht: Anteil von Muslimen an der Gesamtbevölkerung (2011)

  • <1% (Weißrussland, Tschechien, Estland, Finnland, Ungarn, Island, Lettland, Litauen, Malta, Moldawien, Monaco, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei, Ukraine)
  • 1%–2% (Andorra, Kroatien, Irland)
  • 2%–4% (Italien, Luxembourg, Norwegen, Serbien, Slowenien, Spanien)
  • 4%–5% (Dänemark, Griechenland, Liechtenstein, Vereinigtes Königreich)
  • 5%–10% (Österreich, Belgien, Bulgarien, Frankreich, Deutschland, Niederlande, Schweden, Schweiz)
  • 10%–20 % (Montenegro, Russland)
  • 20%–30 % (Zypern)
  • 30%–40 % (Mazedonien)
  • 40%–50 % (Bosnien und Herzegovina)
  • 80%–90 % (Albanien)
  • 90%–95 % (Kosovo)
  • >95% (Türkei)

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Islam_in_Europa


Postmoderner Aufklärungsverrat der europäisch-kapitalistischen Herrschaftsträger

Anstatt auf diesen quantitativen Bedeutungsverlust mit qualitativen Kompensationsmaßnahmen zu reagieren (intelligente Zuwanderungssteuerung; Anhebung des inhaltlichen statt des formalen Bildungsniveaus; Absenkung unproduktiver Integrationskosten zugunsten verbesserter Infrastrukturen etc.), haben sich die ökonomischen, politischen und ideologischen Herrschaftsträger der westlich-kapitalistischen Gesellschaftssysteme längst von den Prinzipien der kulturellen Moderne, die als Identitätsgrundlagen Europas fungieren könnten und müssten, verabschiedet. Sie sind bereit, hinter dem rhetorischen Tarnvorhang multikulturalistischer und pseudohumanistischer Werte-Phraseologie das Europa der Aufklärung auf den Müllhaufen der nihilistischen Profitlogik zu werfen.

Während nämlich große Teile der Bevölkerung in Europa dem importierten Islam und der durch ihn bestimmten Herrschaftskultur aus guten Gründen kritisch und ablehnend gegenüberstehen, folgen die herrschenden und tonangebenden Kräfte in Wirtschaft, Politik und Medien einem dezidiert proislamischen Kurs. Wesentliche Ausdrucksformen dieser umfassend spürbaren Ausrichtung sind a) die enge Interessenabstimmung mit islamischen Führungsinstanzen auf supranationaler Ebene5, b) die Gewährleistung und Absicherung mehrdimensionaler Islamisierungsprozesse in den westlichen Zuwanderungsländern6 sowie c) die systematische Diskriminierung und mediale Ausgrenzung islamkritischer Positionen7.

Die letztendlich ausschlaggebende Ursache für diese proislamische Grundeinstellung ist der Interessenwandel der spätkapitalistischen Herrschaftsträger. Indem das Kapital sich zunehmend globalisiert hat, ist es „postmodern“ geworden. Das bedeutet zum einen, dass es sich gegenüber nichtwestlichen Herrschaftskulturen öffnet und mit diesen Handelspartnerschaften sowie strategische Allianzen auf ökonomischem, politischem, militärischem etc. Gebiet eingeht. Dazu gehört natürlich auch ein ausgeprägter Verharmlosungs- und Duldungsdiskurs bzgl. des antiemanzipatorischen Charakters dieser neuen Bündnispartner. Zum anderen verhält es sich damit praktisch zunehmend nihilistisch gegenüber den Grundinhalten der eigenen, europäisch „gewachsenen“, säkular-demokratischen Leitkultur und bürdet den einheimischen Bevölkerungen die sozialen Folgekosten dieser neuen globalen Herrschaftsstrategie in Gestalt von Zuwanderungsghettos, muslimischer „Parallelgesellschaften“8, Sozialdemontage, höheren Abgabelasten etc. auf.

Dabei fungieren der Kulturrelativismus und der postmoderne Fetisch der Andersheit/Diversität als neue Leitideologien des globalen Kapitalismus. Ihre Ausrichtung ist die Erzeugung einer kapitalfunktionalen Mischkultur, die qualitative (kulturell-normative und lebensweltliche) Gegensätze zwischen aufgeklärten (modern sozialisierten) und unaufgeklärten (vormodern sozialisierten) Lohnarbeitern, Konsumenten und Staatsbürgern leugnet bzw. deren Einebnung und regressive „Gleichmacherei“ zu einer Pseudo-Buntheit „von oben“ zwanghaft verordnet und als „multikulturelle Gesellschaft“ stilisiert. Aus der Sicht der Kapitalinteressen betrachtet ist es zum Beispiel egal, ob die Frauen ganzköperverschleiert in Riad, nabelfrei in Saint-Tropez, mit Kopftuch in Istanbul oder mit Jeans bekleidet in Hongkong einkaufen oder ob in den europäischen Migrationsgesellschaften auf engem Raum interkulturelle Konflikte zwischen Einheimischen, nichtislamischen Zuwanderern und muslimischen Migranten eskalieren - Hauptsache Lohndumping, der Absatz und die Profitrate stimmen.

Den Agenten der Kapitalverwertung und ihren politisch-ideologischen Lakaien ging es entgegen phraseologischer Sonntagsreden noch nie um das ganzheitlich-konkrete Individuum als „freies Subjekt“, sondern stets um den Menschen in zwei widersprüchlichen Rollen: a) als möglichst kostengünstiger und flexibler Lohnarbeiter einerseits und b) als zahlungskräftiger Käufer/Konsument andererseits. Im Rahmen dieses instrumentalistischen Horizonts sind nun die westlichen global players bestrebt, europäische Identitäten zu zerstören, weil sie der globalen Profitlogik widersprechen. D.h.: Wer sich der aufgenötigten Herstellung regressiv-multikultureller Mischgesellschaften mit ihren gegensätzlichen Lebenswelten und normativen Orientierungen, also der Islamisierung europäischer Gesellschaften, nicht beugt, auf den Erhalt einer nichtislamischen (aufgeklärten) Lebenskultur und Alltagswelt besteht und (Religions-)Freiheit für eine aggressiv-vormoderne Herrschaftsideologie aus guten säkular-demokratischen (Selbsterhaltungs-)Gründen ablehnt, wird von den herrschenden Kräften systematisch stigmatisiert und diffamiert. Nicht die orthodox-muslimischen Zuwanderer sollen sich in eine säkular-demokratische Gesellschaft integrieren, sondern die einheimischen Europäer sollen umgekehrt gefälligst die regressiv-reaktionären Traditionen, Normen, Einstellungen, Verhaltensweisen, anmaßenden Attitüden etc. der Islamgläubigen akzeptieren und sogar gutheißen bzw. brav respektieren. Ergo: Sie sollen sich soziokulturell selbst kastrieren.

In diesem Kontext nutzt die postmoderne „Elite“ das klassische Rechts-Links-Schema, um Verwirrung zu stiften und praktisch-kritische Widerstandsimpulse zu ersticken. Wer sich der neuen kapitalistischen Verbündungsstrategie mit nichtwestlich-despotischen Herrschaftsträgern und deren religiösen „Leitkulturen“ widersetzt und den wachsenden Migrationsimport zusätzlicher reaktionärer Denk- und Verhaltensweisen kritisiert, wird als „rassistisch“, „fremdenfeindlich“, „rechtslastig“, „islamophob“ etc. gebrandmarkt. Wer demgegenüber als willfähriger Unterstützer und Schönredner eingewanderter Repressionskulturen fungiert und deren totalitäre Ideologien verharmlost, gilt - in moralischer Ausbeutung einer naiv-unkritischen Multikulturalismusideologie - als „fortschrittlich“, „aufgeschlossen“ bzw. als „toleranter Gutmensch“.

Mit Hilfe dieser medial gestützten Verwirrung wird dann folgender Grundsachverhalt verschleiert:

Angesichts der übersättigten westeuropäischen und nordamerikanischen Märkte sind die Geschäftsinteressen westlicher Großkonzerne nicht zuletzt auch auf den arabischen bzw. generell islamisch geprägten Wirtschaftsraum gerichtet. Für die Herstellung und Beibehaltung eines günstigen Geschäftsklimas ist eine möglichst störungsfreie Kommunikation mit den islamischen Machthabern geboten. Eine Auseinandersetzung mit den dortigen Herrschaftsstrukturen, Menschenrechtsverletzungen, Repressionsverhältnissen etc. würde nur die anvisierten bzw. bereits hergestellten Geschäftsbeziehungen stören. Und das betrifft nicht nur den Export von Konsumartikeln. Längst ist z.B. Saudi-Arabien nicht nur herausragender Ölexporteur und ein Hauptsponsor des islamistischen Terrorismus, sondern auch ein äußerst potenter Importeur westlicher Rüstungsgüter und Sicherheitstechnologie . Zudem ist Deutschland der Haupthandelspartner des iranischen Gottesstaates. Zentraler Bestandteil dieser wirtschaftlichen Interessenverflechtung ist natürlich auch in diesem Fall ein ausgeprägter Verharmlosungsdiskurs bzgl. des totalitären Charakters des betreffenden Partnerlandes. So konnte es auch nicht wirklich überraschen, dass sich deutsche Großkonzerne in arabischen Medien für die westliche Pressefreiheit entschuldigten und zu Hause einen Beschwichtigungskurs angesichts der gezielten Aufwallungen anlässlich des „Karikaturenstreits“ verordneten. Gegenwärtig ist auffällig, dass in westlichen Medien und von EU-Politkern kaum ein Wort der Kritik darüber zu hören ist, dass Saudi-Arabien und die reichen Ölmonarchien einerseits als massive Kriegstreiber agieren, sich andererseits aber gleichzeitig gegenüber muslimischen Kriegsflüchtlingen systematisch abschotten und mit Hilfe deutscher Sicherheitstechnik ihre Grenzen dichtmachen.

Zunehmend werden aber auch andersherum die Geldmengen in den Händen der islamischen Herrschaftselite alsAnlagekapital für umfangreiche Unternehmenskäufe und -beteiligungen im Westen genutzt. Damit wird eine unmittelbare Machtposition außerhalb der islamischen Herrschaftskultur aufgebaut, die sich nicht nur wirtschaftlich, sondern auch im Interesse politischer Druckausübung, Erpressung und ideologischer Einflussnahme instrumentalisieren lässt.

Auf der anderen Seite der zwar veränderten, aber nicht überwundenen klassenstrukturellen Barrikade erscheinen die neoliberalen Reklameformeln der „Buntheit“ und „Weltoffenheit“ in einem ganz andern Licht und werden als verlogen, schönfärberisch und realitätswidrig wahrgenommen. Denn hier, aus der Perspektive lebensweltlicher Betroffenheit, wird die Einwanderung von religiös-vormodern sozialisierten, vielfach bildungsfernen, zuweilen gewalttätigen, sexuell übergriffigen, überdurchschnittlich kriminellen, aufdringlich islamisch-desintegriert auftretenden Nachbarn, Dumpinglöhnen und Konkurrenten auf dem Wohnungsmarkt etc. unmittelbar-konkret als negativ erlebt. Etikettiert bzw. diffamiert man diese unmittelbar-konkrete Erfahrung als „rassistisch“, „fremdenfeindlich“ oder „islamophob“, so wird dadurch das objektiv begründete Ablehnungspotenzial nur noch weiter gesteigert.


Zum Scheitern des EU-Projekts

Der durch demographische Entwicklungen und eine verfehlte Einwanderungspolitik bedingte Abstieg Europas wurde und wird vertieft und verschärft durch das fehlgeschlagene Projekt der Schaffung und erweiterten Reproduktion einer Europäischen Union „von oben“ im Interesse bestimmter ökonomisch-politischer Machtkartelle. Einerseits wurde damit ohne hinreichende demokratische Legitimation, ja im Grunde hinter und auf dem Rücken der europäischen Bevölkerungen, der Moloch einer intransparenten Euro-Bürokratie installiert, der sukzessive die nationalen Souveränitätsrechte der Mitgliedsstaaten aushebelt und deren legislative, exekutive und judikative Kompetenzen beschneidet. Andererseits erwies sich die unausgegorene, überstürzte und undemokratische Herbeiführung einer „Währungsunion“ aus disparaten und zu vielen Volkswirtschaften als Ausgeburt ökonomischer Unvernunft. Das voluntaristische Konzept, Ländern mit sehr uneinheitlichen technologischen Standards, divergierenden Arbeitsproduktivitätsniveaus, unterschiedlichen sozial-, arbeits- und steuerrechtlichen Strukturen, inhomogenen Konsum-, Ausgabe und Sparverhaltensweisen etc. ohne ein konsequentes Regelsystem eine Einheitswährung überzustülpen und sodann mit einer „Arbeitnehmerfreizügigkeit“ ohne annähernd gleichgewichtige inter-nationale Wechselseitigkeit zu beglücken9, musste längerfristig scheitern und war von vornherein mit der hohen Wahrscheinlichkeit eines Desasters behaftet.

Hinzu kam die Aufnahme von Mitgliedern wie Griechenland, das sich mit gefälschten Beitrittspapieren Zugang verschaffte und eine Einnahme-Ausgabe-Disbalance aufwies, für die man die ehemalige DDR bzw. das „ostdeutsche Beitrittsgebiet“ eben noch verhöhnt hatte. Eine absolut desolate Finanzverwaltung, Steuersenkungen für die Reichen sowie weit verbreitete Steuerhinterziehung und Schattenwirtschaft auf der einen, schier unglaubliche Vergünstigungen und Privilegien für bestimmte Gruppen in der aufgeblähten Staatswirtschaft auf der anderen Seite mussten zwangsläufig in den Staatsbankrott führen, zu dessen künstlicher Vermeidung nun - entgegen den EU-Verträgen - riesige Summen im Rahmen so genannter Rettungsschirme aufgewendet werden müssen. Aus der Währungsunion ist mithin - entgegen den Bestimmungen der EU-Verträge und den Grundeinstellungen der ungefragten Bevölkerungen - eine Transferunion geworden. Auf diese Weise überträgt sich die Verschuldung einzelner Länder wie eine Infektionskrankheit auf den gesamten Beitrittsraum und dynamisiert die nationalen Verschuldungsszenarien. Im Ergebnis hat sich mittlerweile ein verheerender Antagonismus zwischen Schuldnerländern und Geber- bzw. Gläubigerländern herauskristallisiert, der die Leitidee eines einheitlichen Europas zu zerstören droht. Denn in den verschuldeten Staaten wie Griechenland, Irland, Portugal und Spanien wächst der verständliche (militante) Widerstand gegen die verordneten Sparprogramme; in den Gläubigerländern hingegen wächst die ebenso verständliche Empörung gegen die ständigen Milliardenhilfen und die dadurch verschärfte nationale Staatsverschuldung. Hinzu kommt die stille Enteignung der kleinen und mittleren Geldanleger durch die diktatorische Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank. Auf diese Weise sinken die Rücklagen für die Altersvorsorge, so dass Altersarmut EU-wirtschaftlich vorprogrammiert wird.

Insgesamt betrachtet, setzt sich die „Krise des Euro-Raums“ aus der fatalen Verknüpfung der Tätigkeitsprofile folgender inadäquat operierender Akteure zusammen:

1. Regierungen mit einer verheerend disproportionalen Einnahme-Ausgabe-Politik als Generatoren der anwachsenden Verschuldung.

2. Banken als doppelte Nutznießer der Verschuldung, indem sie a) als profitierende Kreditgeber der regierenden Schuldenmacher fungieren und b) von den EU-Rettungsschirmen im Falle der Zahlungsunfähigkeit der regierenden Schuldenmacher saturiert werden.

3. Die herrschenden EU-Instanzen, die im Verbund mit den nationalen Regierungen und Parlamenten vertragswidrig und hinter dem Rücken und auf Kosten der nationalen Bevölkerungen eine Transfer- und Ausfallbürgschaftsunion installiert haben und den Bevölkerungen der verschuldeten/bankrotten Mitgliedsstaaten Tilgungsprogramme aufnötigen, die eine gesamtgesellschaftliche Verarmung unterhalb der Ebene der steuerhinterziehenden Superreichen induzieren und damit den wirtschaftlichen Erholungsprozess lahm legen.

Hauptleidtragende dieses Krisenkartells sind in jeweils unterschiedlicher bzw. dialektischer Form zum einen die betroffenen Bevölkerungen der Schuldenstaaten als multiple Opfer der Sparprogramme und zum anderen die Steuerzahler der Geberländer, die letztendlich für die „Rettungsmaßnahmen“ aufkommen müssen. Im Endeffekt führt diese Konstellation im Rahmen eines an Oberflächenphänomen orientierten Alltagsverstandes zu gravierenden Animositäten zwischen den unterschiedlichen Betroffenengruppen und zersetzt so zunehmend die innereuropäische „Solidarität“.

Nicht zuletzt haben sich die verantwortlichen Funktionsträger der EU-Politik als unfähig erweisen, die einseitige, mit zahlreichen destabilisierenden Folgen verbundene Lenkung der islamischen Flüchtlingsströme nach Europa abzuwehren und gegenüber der Weltöffentlichkeit klar und deutlich eine globale Lösung für ein nichteuropäisches Problem einzufordern. So wurde und wird das Gesamtphänomen der Flüchtlingsproblematik und der entstandenen Migrationsströme als europäisches bzw. deutsches Problem behandelt, anstatt es als außereuropäisch entstandenes und globalpolitisch zu lösendes Problem anzugehen und zu bearbeiten. Demgegenüber wäre es - neben der gezielten Ursachenbekämpfung - die Aufgabe der europäischen Politik, eine globale Aufteilung und ausgewogene Steuerung der Migrationsströme auf alle Weltregionen durchzusetzen und so die einseitige und überlastende Bewegung nach Europa zu beenden. In der jetzigen Form der europäischen Fehlinternalisierung des islamischen Flüchtlingsproblems10, die durch das verfehlte Abkommen mit der staatsislamistischen Türkei (Erdogan als erpressungspolitischer Türsteher) nur noch verschlimmert wird, hat sich so jedenfalls ein weiterer Kausalfaktor für die Zerrüttung der europäischen Einheit und Identität herausgebildet.

Halten wir abschließend fest: Dem doppelten Würgegriff globalkapitalistischer und islamischer Herrschaftsinteressen ausgesetzt, könnten die europäischen Bevölkerungen nur vermittels einer neuen progressiven Protestbewegung den gesellschaftlichen Niedergang abschwächen. Doch dafür gibt es derzeit - nach der Selbstzerstörung der europäischen Linken - noch nicht einmal zarte Ansätze. Der Aufstieg „rechtspopulistischer“ Parteien in einer Reihe von Euro-Ländern passt dagegen in dieses Szenario wie der Flug kreisender Geier.

(04.07.2016)

1 Wie Transparency International mitteilte, hat die Korruption in vielen arabischen Staaten seit Ausbruch der sog. Arabellion vor zwei Jahren zugenommen. „In Tunesien, Ägypten, und dem Jemen beklage sich eine Mehrheit darüber, dass sie häufiger Schmiergeld zahlen müsste. (…) Die Studie der Anti-Korruptions-Organisation dämpft Hoffnungen, dass die Revolutionen saubere Regierungen hervorbringen“ (Neue Osnabrücker Zeitung vom 10 Juli 2013, S. 4).

2 Nach den neusten Projektionen der Vereinten Nationen zur Entwicklung der Weltbevölkerung wird die Zahl der Menschen (heute: 7,3 Milliarden) bis zum Jahr 2100 auf 11,2 Milliarden ansteigen; bis 2050 auf 9,7 Milliarden. Bliebe allerdings die Geburtenrate bis 2100 auf dem heutigen Niveau, würde die Weltbevölkerung bis zur Jahrhundertwende sogar auf 26 Milliarden Menschen anwachsen. Bis zum Jahr 2050 wird sich die afrikanische Bevölkerung von heute einer Milliarde auf 2,4 Milliarden mehr als verdoppeln. 2100 werden es sogar 4,4 Milliarden sein. Demgegenüber muss sich Europa insgesamt auf einen Rückgang der Bevölkerung von heute 650 auf 540 Millionen einstellen.

3 http://www.merkur.de/politik/wie-lauffeuer-europas-strassen-315427.html

4 http://www.pewforum.org/2015/04/02/religious-projections-2010-2050/

5 http://www.hintergrund-verlag.de/texte-rezensionen-bat-yeor-europa-und-das-kommende-kalifat-der-islam-und-die-radikalisierung-der%20demokratie.html

6 http://www.hintergrund-verlag.de/texte-islam-hartmut-krauss-islamisierung-als-reales-phaenomen.html

7 http://www.hintergrund-verlag.de/buecher-feindbild-islamkritik.html

8 „Die Konzentration muslimischer Einwanderer in bestimmten Stadtteilen, Wohnbezirken und Straßenzügen sowie die Möglichkeit der dauerhaften Inanspruchnahme des Sozialtransfersystems sind neben der infrastrukturellen, informationellen und sozialisatorischen Selbstexklusion notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen für den Übergang von einer sich spontan formierenden ethnischen Parallel- zu einer gezielt etab-lierten muslimischen bzw. islamzentrierten Gegengesellschaft. Der ausschlaggebende ‚Qualitätswechsel’ liegt hier in der Errichtung einer repressiven Kontrollherrschaft mit rigiden, religiös/islamisch begründeten Normen, Maßregeln, Verboten, Handlungszwängen“ (Krauss, 2008, S. 312f.).


9 Diese „Arbeitnehmerfreizügigkeit-nur-in-eine-Richtung“ war ein Anlass für den Brexit: „Allein zwischen 2010 und 2014 strömten 1,5 Millionen Menschen nach Grossbritannien. Doch von den 200.000 Migranten, die allein im Jahr 2015 gekommen sind, erhält eine beachtliche Zahl Sozialleistungen. Laut Schätzungen waren 60 Prozent der EU-Migranten Niedrigqualifizierte aus Ländern wie Rumänien, Polen, Bulgarien. Das erhöhte den Druck auf niedrigqualifizierte Einheimische.“ http://www.nzz.ch/nzzas/nzz-am-sonntag/europaeische-union-ein-rueckbau-der-eu-waere-sinnvoll-ld.91709

 

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